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2005

Kulturausschuss des Landtages am 09.06.2005

Dr. Sigrid Hansen, DTKV Landesverband Sachsen-Anhalt e.V. bei der Anhörung zum Entwurf der künftigen Kultur-Leitlinien des Landes im Kulturausschuss des Landtages am 09.06.2005




Zum DTKV

Der Deutsche Tonkünstlerverband ist der älteste und zahlenmäßig größte Berufsverband für Musiker (Gründung 1847 – aber in den neuen Bundesländern erst wieder nach der politischen Wende). Rund 7.000 Mitglieder sind in 16 Landesverbänden organisiert. Er gilt als Standesvertretung für alle Musikberufe wie Interpreten, Komponisten, Musikpädagogen, Musikjournalisten usw.
Der Tonkünstlerverband hat sich zur Aufgabe gemacht, das Verständnis für die neue Musik sowie die Kommunikation über sie zu fördern. Insbesondere sieht er die Förderung der in unserem Bundesland lebenden KomponistInnen als Verpflichtung und Fortführung einer Tradition, die von Franz Liszt ausgegangen ist.
13 Tonkünstlerfeste (mit 72 UA) und 11 Jugend-Kompositions-Wettbewerbe sind im Land durchgeführt worden.

Die Kulturleitlinien wollen sich als Momentaufnahme der gegenwärtigen Situation verstehen, es geht also um das Bewahren der gegenwärtigen Substanz. Dabei dürfte Effizienz nicht der Hauptfaktor einer Förderung sein! Eine erste Frage ist doch für die Konzeption, Wie viel Kultur brauchen wir in Sachsen-Anhalt? Kultur ist kein Luxus, Kultur gehört zu den wertvollsten Ressourcen. Sie soll Vergnügen bereiten, Bildung ausprägen und nicht ständig unter Rechtfertigungszwang geraten. Allen ist klar, dass in Zeiten immer knapper werdender Kassen sorgfältig nachgedacht werden muss, aber Gelder dürfen nicht nach der jeweiligen Lobby verteilt werden. Das Konzept zielt auf Verteilung der knapper werdenden Kassen - aber der Kulturetat gehört ja bereits zu den kleinen Bereichen des Landeshaushaltes.

Eine Einbindung der Neuen Musik in unsere lebendige Gegenwart muss geschehen. Es geht dabei nicht ausschließlich um neue Musik - es geht um wahrhafte Musik in Absetzung von ereignisloser! Mit der zeitgenössischen Musik will sich die Gegenwart darstellen, erhellen, sich ordnen, während sie zugleich das Vergangene bestätigt, verschönt oder beurteilt; sie weist aber auch in die Zukunft, leitet sie ein und lässt sie zur Wirklichkeit werden. Dies ist die Begründung dafür, warum man sich mit der ZGM auseinandersetzen muss, sie durchdringen, sie verstehen, kennen lernen, lieben kämpfen muss, mit ihr, für sie und durch sie. (H. Scherchen.)

Komponisten haben kaum die Möglichkeit sich zu artikulieren, in der Landesförderung nimmt die zeitgenössische Musik einen verschwindend geringen Teil ein. Der italienische Komponist Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) hat sich wie folgt geäußert: „Ich scherze nicht, wenn ich sage, dass es beinahe ein Unrecht ist, als Komponist zu leben. Bis 1800 führte man Lebende auf, vielleicht weil es billiger war, diese zum Komponieren zu kaufen, als Noten abschreiben zu lassen. Aber seit der Lithographie wurde der tote Komponist geboren. Das bedenken wenige; nämlich dass es nicht immer so war. Mit jedem guten Komponisten, der stirbt, kommt ein Toter mehr an die Reihe: Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, dass heutzutage mindestens 2/3 aller Kräfte den Toten gewidmet sind. Wenn es so weitergeht, muss man überlegen, ob Komponisten nicht lieber tot auf die Welt kommen sollten.“

Damit die sarkastische Bemerkung Ermanno Wolf-Ferrari nicht greifen kann, müssen die lebenden Komponisten und die Musica viva in die Kulturleitlinien integriert werden.Wichtig ist, dass es konzeptionell zunächst um Theater, Museen, Bibliotheken... geht. Doch jetzt komme ich zum eigentlichen Punkt der Musik unter 4.2 Es ist wichtig und richtig, die kulturelle Substanz zu erhalten, aber dabei darf nicht einseitig verfahren werden. Die Potentiale für die Vielfalt müssen berücksichtigt werden. Die Feststellung der Nichtpräsenz der ZGM ist desillusionierend. Trotz der Hallischen Musiktage und der Tonkünstlerfeste, die sich inzwischen zu einem untrennbaren Bestandteil der Musiklandschaft Sachsen-Anhalts entwickelt haben und die die Höhepunkte zeitgenössischer Musikangebote sind, ist diese Nichtpräsenz kaum verständlich..

Das Land der Barockmusik schmückt sich mit der musikalischen Tradition, die sich auf die klangvollen Namen Bach, Händel, Telemann, Fasch gründet. Es orientiert sich an den eingängigen und populären Werken der Vergangenheit, und schenkt den reproduzierbaren Künstlern mehr Aufmerksamkeit als den ohnehin wenigen Musikern, die sich schöpferisch neuen Ausdrucksformen und Klangwelten hinwenden, um neue Erlebnisräume entstehen zu lassen. Es verliert aber dabei an Vitalität. Es kann nicht nur um Highlights gehen. Bach und Beethoven sind in ihrer Zeit auch nicht verstanden worden!
Die Förderung der ZGM muss als eine Investition in die Gegenwart und Zukunft gesehen werden, eine Investition in eine neue Generation Musikschaffender und die kreative zeitgenössische Musikszene, nicht zuletzt, um auch in Zukunft die Bedeutung des Landes für eine musikalische Tradition rechtfertigen zu können, um nicht eines Tages nur weiße Flecken in der Musiklandschaft zu finden.

Angemerkt sei, dass die ca. 30 in Sachsen-Anhalt lebenden Komponisten mit keiner Silbe in den Leitlinien erwähnt sind – aber z.B. die ca.100 Schriftsteller...Zeitgenössische Musik spielt sich nicht in großen Häusern ab, sondern eher und überwiegend in einer freien und mit viel Ehrenamt begleiteten Szene über das Land verteilt mit wenigen Veranstaltern.

Am 13. September 1996 wurde die vom Kulturausschuss der KMK erarbeitete Empfehlung zur Förderung der zeitgenössischen Musik und lebender Komponistinnen und Komponisten von der KMK angenommen (s. Musikforum 85, Dezember 1996).
Es dort heißt u.a., dass es einen erheblichen Nachholbedarf in Hinsicht der Vermittlung zeitgenössischer Musik und des Brückenschlages zum Publikum gibt.
Die KMK wendet sich in ihrer Empfehlung an alle am Musikleben beteiligten Institutionen, um das Defizit an zeitgenössischer Musik in der Gegenwart aufzuholen und schlägt ein sogenanntes „Punkteprogramm“ vor. Auf das hier nicht eingegangen werden soll.
Daraufhin wurde im Januar 2000 mit dem 1. Tag der zeitgenössischen Musik in Magdeburg Im Funkhaus eine Tagungsreihe begründet, die sich ausschließlich der zeitgenössischen Musik gewidmet hat.

In „Ab- und Aufbruch der zeitgenössischen Musik“ gab es eine Bestandsaufnahme . „Junge Musik der Rock- und Popmusikszene sowie des Jazz“ war 2001 das Thema des 2. Tages. Der dritte Tag 2002 stand unter dem Thema „Zeitgenössische Musik in der Schule“. Hier war der Gedanke, die Thematik der zeitgenössischen Musik direkt an die zukünftigen Rezipienten, sprich Kinder und Jugendliche, zu vermitteln. Die Resonanz zu den Themen war groß und sehr positiv.

Leider gab es dann ab 2003 keine Fortsetzung!!Auch konnte die Weiterführung des 2001 als Projekt angelaufenen, vom Kultusministerium geförderten unabhängigen Musikinformationszentrums für zeitgenössische Musik am Konservatorium G. Ph. Telemann in MD als Anlaufpunkt und Schnittstelle, die für das Land Sachsen-Anhalt dringend notwendig ist, auch um den in den 90er Jahren erreichten Stand der Förderung nicht noch weiter wegbrechen zu lassen, nicht weitergeführt werden. Die von Jahr zu Jahr wachsende Planungsunsicherheit für Projekte raubt dem immer kleiner werden Kreis unbeirrt ehrenamtlich Tätiger Mut, Elan und Kraft. Daher muss dieser sensible Punkt gebündelt und stabilisiert werden, damit die Entwicklung zeitgenössischer Musik in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren nicht ganz zum Erliegen kommt und im Land der Barockmusik eines Bach, Händel, Telemann ... auch die zeitgenössische Musik, die es naturgemäß schwerer hat, in repräsentativer Weise wahrgenommen wird.

Wichtig wäre, dieses Zentrum ZGM innerhalb des angedachten „Kompetenzzentrums“ auszubauen. Dessen sollte sich das Land annehmen und mindestens das Lebenswerk von Komponisten zur Fortschreibung der Musikgeschichte retten. Das Musikinformationszentrum muss Arbeit nach außen leisten und das Land Sachsen-Anhalt repräsentieren muss publizistische, künstlerische, wissenschaftliche kommunikative Arbeit leisten, Unterrichtsmodelle fördern und entwickeln, Noten, Tonträger bereitstellen usw. usw. Zeitgenössischen Musik ist eine Investition Zukunft für die junge Generation. Hier muss Kultur als übergreifendes Element in der Landespolitik gesehen werden. Der Bogen muss weit gespannt werden Schule und Kultur müssen enger verzahnt werden.

Warum sollte man nicht auch Arbeitsmöglichkeiten für Künstler an den Schulen schaffen. Mut zu neuen Ideen sollte man haben auch wenn das Konzept auf die Verteilung der knapper werdenden Kassen zielt.

Hiermit beantragen wir:
Aufnahme bzw. eine Erwähnung in den Leitlinien:der im Lande lebenden Komponisten
der zeitgenössischen Musik sowie der Hallischen Musiktage und der Tonkünstlerfeste einschließlich der Jugend-Kompositions-Wettbewerbe als Höhepunkte (bzw. Inseln) des zeitgenössischen Musikschaffens

Wir empfehlen:
Eine Weiterführung des 2001 als Projekt vom Kultusministerium am Konservatorium Georg Philipp Telemann in Magdeburg als Anlaufpunkt und Schnittstelle geförderten unabhängigen Musikinformationszentrums für zeitgenössische Musik am Konservatorium Georg Philipp Telemann in MD für das Land Sachsen-Anhalt innerhalb des angedachten Kompetenzzentrums auszubauen.
Arbeitsmöglichkeiten für Künstler an Schulen zu schaffen wobei eine bereits in anderen Bundesländern eingerichtete Schaffung eines „Kultureuros“ eine Finanzierungsvariante darstellen könnte. Wir könnten uns vorstellen, dass das Land Sachsen-Anhalt für den Tourismus weitere attraktive Anziehung bekäme, wenn das Land z.B. Existenzgründungen für den Kulturtourismus anregt und fördert.

Theodor Heuss hat einmal gesagt:
„Mit Politik kann man keine Kultur machen, aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.“ Vielleicht, so möchte ich es formulieren, ist Kultur, verstanden als Lebensweise die glaubwürdigste Politik.




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