Schuberts „Winterreise“

als musikalisch-tänzerisches Experiment

Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ hat schon viele Choreografen und Regisseure zu Dramatisierungen angeregt. 1827 – ein Jahr vor seinem Tod – beschäftigte sich Schubert intensiv mit Wilhelm Müllers Gedichtsammlung, die vom Ende einer Liebe und der düsteren Wanderschaft des Enttäuschten erzählt. Für die Zeitgenossen waren die Vertonungen von ungeheurer Härte und Eindrücklichkeit. Schubert selbst sprach von einem Zyklus schauerlicher Lieder, deren Komposition ihn mehr angegriffen habe, als das je bei anderen Liedern der Fall war. Die szenische Umsetzung, die am 24. April um 19.30 Uhr auf der Kleinen Bühne im Telemann-Konservatorium Premiere hat, versucht, dieser Intensität des Erlebens auf verschiedene Weise zu begegnen.
Sabine Bergk verbindet in ihrer ersten Regiearbeit für das theater magdeburg Gesang und Tanz zu einer musikalisch-szenischen Improvisation. Sie spaltet in ihrer Inszenierung das lyrische Ich in zwei Personen, die einander beobachten, berühren, umspielen. Sängerin Undine Dreißig leiht diesem Ich ihre Stimme, der Tänzer Alfredo Mena seinen Körper. Wichtig war der Regisseurin vor allem die gemeinsame Annäherung an das Stück.
Die Zuschauer erwartet ein konzentrierter Abend mit sparsamen Gesten – und umso intensiverem musikalisch-szenischem Erleben. Die Bühne stammt von Christian Baumgärtel, die Kostüme von Stephan Stanisic, die musikalische Leitung liegt in den Händen der Pianistin Anna Grinberg.

Die Premiere des szenischen Liederabends „Winterreise“ fand am 24. April 2004 um 19.30 Uhr auf der Kleinen Bühne im Telemann-Konservatorium Magdeburg statt.

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Winterreise von Schubert im Theater inszeniert

Am Brunnen vor dem Tore......
Ingeburg Friedrich
Eine Folge „schauerlicher Lieder“ nannte Schubert selbst seinen letzten Liederzyklus nach Texten des Dessauer Dichters Wilhelm Müller. Dies entsprach seinem Seelenzustand am Ende seines Lebens, das mit 32 Jahren vollendet war. In seinen letzten Jahren, 1827 und 1828 entstand die korrigierte Reinschrift des Zyklus von zweimal zwölf Liedern, und kaum waren Teile davon zu Papier gebracht, schickte Schubert einen seiner Freunde damit zum Verleger mit der dringenden Aufforderung, dafür Bares für Arznei und Suppe zu bringen. Einsamkeit und Todessehnsucht, dazwischen noch verirrte Hoffnung, als Trugbild erkannt, sprechen aus den Versen Müllers, die Schubert auf einzigartig geniale Weise vertonte.
Die Winterreise gehört zum Erschütternsten, das je in Musik ausgedrückt wurde. Für einen Sänger ist sie ein Markstein , ein einmaliger Höhepunkt der künstlerischen Gestaltung. Den Stimmungsgehalt des Werkes optisch zu verstärken, das Werk zu inszenieren, gab es in jüngerer Zeit mehrfache Versuche.
Am Magdeburger Theater war eine Version der jungen Regisseurin Sabine Bergk am Wochenende auf der Kleinen Bühne zu erleben. Sie hatte die Besonderheit, dass hier die Winterreise von einer Frau gesungen wurde, was noch immer zu den Seltenheiten gehört. Undine Dreißig mit ihrer bewegenden Sangeskunst stand im Mittelpunkt des Abends. Nuanciert, alle Mittel ihres großen Stimmumfangs einsetzend und mit ihrem wunderschönen Timbre überaus einnehmend, brachte sie alle Stimmungen der so überaus schwierig dazustellenden Lieder zum Ausdruck. Dabei fand sie noch die Kraft, die Beweglichkeit, die die Inszenierung von ihr forderte, unverkrampft und voller Eindringlichkeit auszuspielen. Das Publikum schien den Atem anzuhalten, als sie, durch die angedeuteten Gräberreihen eines Friedhofs irrend, verzweifelnd fragte „Sind denn in diesem Hause die Kammern all` besetzt?“...
Undine Dreißig, die auf Magdeburgs Opernbühne in vielen Rollen zu überzeugen wusste, hat mit dieser Winterreise zu einem bemerkenswerten künstlerischen Höhepunkt gefunden, hat ein musikalisches Erlebnis gestaltet, das für alle, die es aufnehmen konnten, kaum vergesslich sein wird. Dazu trug die Pianistin Anna Grinberg Wesentliches bei. Ihr souveränes Spiel, das von unanfechtbarem musikalischen Geschmack, von technischer Brillanz ganz zu schweigen, geprägt wurde, trug die Aufführung.
Um diesen, von Schuberts Meisterwerk festgelegten musikalischen Kern hatte die Inszenierung einen in allen Phasen beeindruckenden Mantel gelegt. Unentrinnbar in der Einsamkeit des geschlossenen Raumes gefangen, zeigten sich die Darsteller, die Sängerin und ihr abgespaltenes, von dem Tänzer Alfredo Mena dargestelltes zweites Ich. Mit sparsamer Gestik unterstrich er den Stimmungsgehalt aller Lieder und brachte die hoffnungsvolle Unruhe, der die Vergeblichkeit von vornherein innewohnt, in dem Lied „Die Post“ , ebenso zum Ausdruck, wie das geisternde Irrlicht und die Müdigkeit des unsteten Wanderers.
Die kluge und eindringliche Inszenierung, mit der sich die junge Sabine Bergk vorstellte, kam mit sparsamen , dem Werk angemessenen Mitteln aus. Sie wirkte nicht als Fremdkörper, sondern beschränkte sich auf das Unterstreichen dessen , was im Text steht und in der Musik ausgedrückt wurde. Dabei hatte die Regisseurin interessante Ideen der Vermischung der Geschlechter.
Der Tänzer trug zeitweilig das Ballkleid der ungetreuen Geliebten, die Sängerin den roten Frack des Liebhabers, Erinnerung an bessere, hoffnungsvollere Tage.
Im letzten Lied, „Der Leiermann“ waren Vereinzelung und Hoffnungslosigkeit auf die Spitze getrieben. Weit getrennt auf zwei Stühlen stehen beide in Dunkel gehüllte Gestalten : „ Keiner mag ihn sehen, keiner sieht ihn an..... und er lässt es gehen, alles , wie es will“ , heißt es im Text. Erschütternd und eindringlich. Schade, dass ein vorzeitiger Klatscher die Stimmung störte.