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WELTBÜHNE 1989

Der eigenwillige Kopf

von Hanns H.F.Schmidt

An zwei Gestellen hängen verschiedenfarbige Glasstangen. Ein Bild oder eine Plastik, wenn man will, und zugleich ein Instrument mit einem eigenen, unverwechselbaren Klang. Das klingende Medium ist eigenwillig. Es bereitet Mühe, auf ihm zu musizieren. Klaus-Dieter Kopf nimmt sie auf sich.
Kopf lebt und arbeitet in Magdeburg. Am Ende der Straße, in welcher er wohnt, sehe ich im abendlichen Licht Dom und einen aufgereckten Kran. Und in seinen Kompositionen steht Überliefertes neben Neuem in ähnlicher Weise, aber seine künstlerischen Anstrengungen richten sich ständig auf deren Miteinanderverwachsen.
Klaus-Dieter Kopf, im Jahre 1941 in Leipzig geboren und dort in schwerer Zeit aufgewachsen, wurde kein Thomaner, aber im benachbarten Halle besuchte er ab 1955 die damalige Händel-Schule. Er wollte Musiker werden. Als hoffnungsvoller Violinist trat er an, wurde aber auf den Kontrabaß umgestimmt. An dessen Seite verbrachte er nach dem Staatsexamen für ihn wichtige Jahre in Suhl, Halberstadt, Halle und Magdeburg, lernte intensiv das Repertoire von Sinfonie- und Theaterorchestern, spielte und studierte. Komponiert hatte er schon als Schüler. Das lag weit zurück. Da war ein Abgrund entstanden zwischen seiner Persönlichkeit und jenen ersten, naiven Bemühungen. Nun galt es, über ihn schmale Stege mit Einsichten und Überlegungen zu finden - zurück in das ferne, geliebte Reich.
Das "Magdeburger Oratorium" - nach einem Text von Klaus Wolf - wurde 1977 uraufgeführt. Es erlebte leider nur wenige, auch unvollständige Wiederholungen - ein Schicksal mancher Auftragswerke. Aber die Komposition wurde doch zum Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Klaus-Dieter Kopf, ein sehr zurückhaltender Mann, der erst über seinen Vorhaben zum impulsiven und hartnäckigen Arbeiter wird, wagte, als freiberuflicher Komponist tätig zu sein. Der Erfolg bestätigte ihm die schwere Entscheidung. In zehn Jahren entstanden fünfzig Werke unterschiedlicher Genres.
Zurück zum Glasstabspiel. - Bei klingenden Gläsern haben wir Menschen wohl schon immer die Ohren gespitzt. Für eine Glasharmonika komponierte selbst Mozart; in ihr brachten feuchte Finger rotierende Glasglocken zum Schwingen. Das Glasstabspiel, mit dem Klaus-Dieter Kopf durch unser Land reist, entstand nach einer Idee des Kollegiums der Glasgestalter in Magdeburg, die zu ihrer Jubiläumsfeier vor zehn Jahren diesen Effekt verwirklichen wollten.
Inzwischen sind auf zwei Gestellen neunzehn kleine und neun große Glasstangen derart montiert, daß man sie auch umhängen kann. Kein Instrument, das sich in Serie herstellen ließe. Die Stäbe haben Charakter, sagt Kopf, jeder seinen eigenen, denn bei einem hört man beispielsweise die Obertöne viel lauter als den Grundton, andere differieren, je nachdem ob sie von links oder rechts her angeschlagen werden, bis zu einem ganzen Ton. Sie reagieren sehr sensibel auf Schlegel aus Palisanderholz, Gummi, Metall. Und einige sind während eines Konzertes zersprungen.
Das führt schnell zum Eindruck, Kopfs Glasstabspiel sei tatsächlich nur für den Effekt gut, für einen exotisch wirkenden Klang. Das Gegenteil aber ist bewiesen. Kopf spielt Kompositionen nach Notation, und er schätzt den Anteil seiner Improvisationen auf höchstens zehn Prozent. Zuerst entstand eine "Glasmusik", dann das "Michaelsteiner Divertimento" für Stabspiel und Orchester. Die "Telemann-Adaptionen" hat er unter anderem mit dem Organisten Joachim Dalitz zweimal im Berliner Schauspielhaus aufgeführt. Dem 3. Glas-Symposion in Lauscha widmete Kopf eine Arbeit. Die Sätze für "Die neun Töchter der Mnemosyne" sind für Glasstabspiel und zwei Saxophone und gelten den Musen.
Klaus-Dieter Kopf komponiert damit keine Programmusik. Er kann und will keine Illustrationen liefern. Aber er kennt auch die Schwierigkeiten, die er den Zuhörern bereitet. Die vielen Richtungen der zeitgenössischen Musik bringen manche Tücken mit sich:
Man sucht den unvoreingenommenen, wohl naiven Zuhörer (eine Fiktion), und man möchte gleichzeitig den geschulten, kenntnisreichen; und am besten alles in einer Person.
Wie also das Publikum erreichen? Kopf fährt immer wieder zu Veranstaltungen in Betriebe, Dorfklubs, Kulturbundgruppen. Er erlebt ständig den "Bammel" der verantwortlichen Organisatoren vor "neuer" Musik. Er scheut keine Anstrengungen, um Zuhörer zu gewinnen. Mit Glas und Baß, denn er stellt keine Kompositionen vom Tonband oder von der Schallplatte vor. Nein, Kopf kennt die Faszination, die original gespielte Musik noch immer auslöst, gerade in einer Zeit, in der jeder mit reproduzierten Klängen überflutet wird. Da wird das ursprüngliche Erklingen des Instrumentes schon zu einem ungewöhnlichen, neuen Erlebnis für viele anfangs skeptische Hörer.
In seinen Veranstaltungen und Konzerten spricht Klaus-Dieter Kopf sein Publikum an. In doppelter Hinsicht. Doch auch dann kann und will er seine Musik nicht erklären. Und er erlebt das Dilemma zu wissen, erst ein mehrmaliges Anhören seiner Kompositionen ermöglichte den Anwesenden einen tieferen, eigenen Zugang.
Eine Oper ist geschrieben, ein weiteres Oratorium. Mit manchen, noch unerfüllten Hoffnungen lebt der Magdeburger. Der eigenwillige Kopf.

DIE WELTBÜHNE - 30. Mai 1989


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