2006 - Reich und Region

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Romaniktour 2006: „Reich und Region“

Guiseppe Torelli:
Konzert für Trompete, Streicher und B.c. D-Dur, Adagio, Allegro (3’)

Als am 6. August 1806 Kaiser Franz der II. in Wien die Reichskrone niederlegte, hatte er mit seiner Unterschrift eine mehr als 800-jährige Ära beendet. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte aufgehört.
Hier in Sachsen-Anhalt hatte es seinen Anfang genommen mit der Krönung Otto I. am 2. Februar 962 zum Römischen Kaiser, und natürlich sind die Spuren vielfältig, die das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ in unserer Region hinterließ. Die Straße der Romanik führt an eindrucksvollen steinernen Zeugen aus der frühen Epoche dieses Reiches entlang.

Das Magdeburger Rossini-Quartett und seine Gäste - mit der Trompete hörten Sie soeben Tilmann Schneider - möchten auf der diesjährigen Entdeckungsreise mit unserer und ihrer Fantasie diese Zeugen musikalisch und literarisch zum Leben erwecken, wobei wir bescheiden nur ein paar ganz kurze Blicke in diese so vielgestaltige Epoche tun wollen.

Telemann: Tafelmusik, 3. Produktion - „Le postillon“ (3’)

Wir haben uns mit dem Magdeburger Barockkomponisten Georg Philipp Telemann an eine fürstliche Tafel begeben. Telemann komponierte seine berühmte Tafelmusik, aus der sie den Satz „Le postillon“ hörten, 1733. Sie war für „versierte Musikliebhaber“ gedacht und keineswegs als leichte Untermalung zur Vorsuppe. Aber lassen sie uns noch anderen Lustbarkeiten in Schlössern und Gärten lauschen. In Sachsen-Anhalt wirkte das große Dreigestirn der deutschen Barockkomponisten, neben Telemann auch Bach und Händel, aber auch Fasch, Schütz, Scheidt, Kaiser und viele mehr.
Natürlich stammt diese Musik aus einer Zeit, in der die romanischen Bauwerke schon längst historisch waren.
Das heutige Sachsen-Anhalt ist nicht nur mit dem Geburtsort Kaiser Ottos, Memleben, und Magdeburg als Lieblingspfalz und Morgengabe an seine Frau, mit dem Ursprung des Reiches verbunden. Es wurde auch in späteren Jahrhunderten zum Musterbeispiel „deutscher Zustände“. Die Region, in der sich jetzt unser Bundesland erstreckt war in der Reichsgeschichte nie ein einheitliches Land, sondern Raum für Begehrlichkeiten, ein Musterland landesfürstlicher Zersplitterung, welche die deutsche Geschichte so ganz anders hat werden lassen als die der großen europäischen Nachbarn. Im Norden stritten sich die Markgrafen von Brandenburg und die Erzbischöfe von Magdeburg um die Altmark, im Süden die sächsischen Kurfürsten, der Erzbischof von Meißen und die Pfalzgrafen. Die Bischöfe von Halberstadt und die verschiedenen anhaltischen Fürstenhäuser stritten um Ländereien und Privilegien im nördlichen Harz und Harzvorland, die Magdeburger Erzbischöfe suchten nach Pfründen in der Börde u.s.w. Und es war damals bereits genauso wie es auch heute noch ist: Der Streit der Großen sicherte die Fortexistenz vieler kleiner Potentaten.
In Sachsen-Anhalt hinterließen sie uns aber eine deutschlandweite Besonderheit. Hier gab es das dichteste Netz von Burgen, Schlössern, Schlossgärten, Hoftheatern und Hofkapellen. Wehrtürme und Kirchen, die manchmal wie Festungen aussehen, stehen noch immer in der Landschaft. Es gab viele Jobs für viele Dichter und Musiker.
Die großen Städte freilich wehrten sich gegen landes- und kirchenfürstliche Begehrlichkeiten. Sie befestigten ihre Mauern und schlossen Bündnisse. Das bekannteste davon ist die Hanse, in der u. a. Stendal, Tangermünde und Magdeburg, Halberstadt, Halle und Naumburg Mitglieder waren. Weniger bekannt ist, dass bereits 1324 die Stadt Magdeburg mit der Stadt Halle ein „ewiges Bündnis“ geschlossen hat, dem sich später noch Calbe an der Saale anschloss. Es diente vor allem der Sicherung des höchst einträglichen Salzhandels. Dieses Bündnis ist übrigens formal nie aufgehoben worden.

An den Höfen war seit der Renaissance vor allem die Italienische Musik in Mode und einer der Lehrer all der italienischen Unterhaltungskomponisten, gegen die sich die einheimischen Komponisten erst durchsetzen mussten, war der Neapolitaner Francesco Durante. Undine Dreißig singt für Sie „Virgin, tutto amor“

Francesco Durante: „Virgin, tutto amor“(3’)

 

Lange vor der Zeit der Hofkapellen, Konzerte, der Renaissance- und Barockmusik war im Hochmittelalter die wichtigste höfische Musik der Minnegesang. Die besten Minnesänger waren weitgereist und genossen europaweiten Ruhm. Einer der berühmtesten Minnesänger stammt aus Sachsen-Anhalt. Heinrich von Mohrungen wurde gegen Ende des 12. Jahrhunderts geboren und starb 1222 vermutlich in Leipzig. Von ihm sind über 100 Minnelieder überliefert.
Auch Heinrich von Ofterdingen, von dem eine Kyffhäuserlegende berichtet, war Minnesänger. Er wurde allerdings erst in der Romantik durch das Romanfragment des (Georg) Friedrich (Philipp) Freiherr von Hardenberg, der sich NOVALIS nannte, zur Berühmtheit.
Novalis wurde am 2. Mai 1772 in Oberwiederstedt im Harz geboren und starb bereits 29-jährig in Weißenfels, wo sein Grab im heutigen Stadtpark zu finden ist.
Sein Dichten ist der Inbegriff romantischen Dichtens, sein Lebenslauf Inbegriff eines romantischen Lebenslaufes.
In seinem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ beschreibt er mit der Geschichte des mittelalterlichen Sängers die romantische Sehnsucht nach der Blauen Blume, ja seine ganze Auffassung von der Romantisierung der Welt.
Sein poetisches Credo drückt er im Gedicht „Zahlen und Figuren“ aus, in dem, wie der Dichterfreund Ludwig Tieck in seinem Epilog zum unvollendeten Werk schreibt, „der Verfasser auf die leichteste Weise den innern Geist seiner Bücher ausgedrückt“ hat.

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit wieder gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Reinhard Seehafer hat das Gedicht vertont, und sie hören nun die Uraufführung mit der Mezzosopranistin Undine Dreißig:

Reinhard Seehafer: Wenn nicht nur Zahlen und Figuren (3’)

 

Es gehört im Übrigen zu den häufigsten und immer wieder peinlichen Versprechern oder Druckfehlern, wenn wir etwa von der „Straße der „Romantik“ statt der „Straße der Romanik“ sprechen. Ein Zufall aber ist der so ähnliche Klang der so unterschiedlichen kulturgeschichtlichen Epochen nicht. Die Zeit der Romanik, das Hochmittelalter, ist eines der bevorzugten Themen der Romantik, eine Sehnsucht nach der ganz unbekannten Welt intakter Kaiserlicher Herrschaft.
Auch das in beidem steckende Wort „Roman“ hat die gleiche historische Quelle. „In lingua romana“ sprachen zum Ausgang der Antike die Völker rund um das Mittelmeer, d. h. in den regionaltypischen „Dialekten“ des von den römischen Besatzern hinterlassenen Latein, aus denen sich im Mittelalter Italienisch, Französisch, Spanisch, Rumänisch und zahlreiche kleinere Sprachen entwickelten. Die „Lingua latina“ blieb die Sprache der römischen Kirche und wurde zur Sprache der Wissenschaft.
Etwa im 12. Jahrhundert bezeichnete das Wort „Romanz“ im Altfranzösischen alles, was in der Volkssprache gedichtet wurde und Geschichten über Menschen und deren Abenteuer erzählte, Heldenepen ebenso wie Märchen oder Sagen. Uns sind daraus die „Romanzen“ und die „Romane“ überliefert. Letztere wurden bereits ab dem 13. Jahrhundert ein gesamteuropäisches Kulturgut, aber erst etwa ab dem 16. Jahrhundert erhielten sie annähernd die Bedeutung, die wir heute kennen. Mit Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks wurden Romane nicht nur Allgemeingut, sie stiegen auch vom hohen Sockel der großen Heldenepen herunter und wurden Volksbücher, die triviale und sehr menschelnde Geschichten erzählten.
Und genau hier knüpften die Romantiker an, denn ihnen ging es um das „wahre Menschenleben“ mit seinen „wahren Gefühlen und Empfindungen“ im Gegensatz zu den hehren Idealen der Klassik und dem Vernunfts- und Wissenschaftsglauben der Aufklärung.
Novalis möchte „in Märchen und Gedichten“ die „wahren Weltgeschichten“ erkennen.
Bereits 1798 findet das „Erste Romantikertreffen“ in Dresden statt. Initiator war neben Friedrich Schlegel eben Novalis. "Novalis ist der einzig wahrhafte Dichter der romantischen Schule, nur in ihm ist die ganze Seele der Romantik Lied geworden", wird später der ungarische Philosoph und Kunsthistoriker Georg Lukács befinden.
Der Begriff „Romanik“ wurde erst im 19. Jahrhundert gebraucht, und er kam auch wieder aus Frankreich, wo 1820 erstmalig der Baustil mit den typischen Rundbögen als „romanesque“, also romanisch bezeichnet wurde. Sachsen-Anhalt ist ebenso ein Kernland der Romanik wie der Romantik.
Vieles, das unser Bild vom Mittelalter prägt, sehen wir durch die Augen der Romantiker, der Dichter, ebenso wie der Musiker. Die nationale Geschichte ist ein weiteres ihrer großen Themen, und das gilt nicht nur für Deutschland. Antonin Dvorak war einer der großen Romantiker der Tschechen. Hören sie von ihm die Humoreske.

Dvorak: Humoreske (4’)

Von den deutschen Romantikern möchten wir hier noch an Heinrich Heine und Robert Schumann erinnern.
Schumann und Heine begegneten sich 1826 einmal in München und besuchten die Lichtenbergsche Galerie. Mehr weiß man nicht über persönliche Kontakte beider, aber sie starben im gleichen Jahr 1856, vor 150 Jahren. Schumann vertonte zahlreiche Gedichte Heines. Den Text von einem seiner schönsten Lieder, der „Widmung“ schrieb ein anderer Romantiker, Friedrich Rückert.

Schumann: Widmung (1.30’)

 

Heinrich Heine hat verschiedene Beziehungen zu Sachsen-Anhalt, nicht nur durch seine berühmte Harzreise. Er war mit dem Magdeburger Carl Lebrecht Immermann eng befreundet. Beide waren, und auch das ist eine Seite der Romantik, exzellente Satiriker. Heine hat uns seine ganz besondere Sicht auf die Gestalten der deutschen Geschichte hinterlassen, z. B. auf den Kaiser Barbarossa in

Deutschland. Ein Wintermärchen
CAPUT XVII
Ich habe mich mit dem Kaiser gezankt
Im Traum, im Traum versteht sich -
Im wachenden Zustand sprechen wir nicht
Mit Fürsten so widersetzig.

Nur träumend, im idealen Traum,
Wagt ihnen der Deutsche zu sagen
Die deutsche Meinung, die er so tief
Im treuen Herzen getragen.

Als ich erwacht', fuhr ich einem Wald
Vorbei, der Anblick der Bäume,
Der nackten hölzernen Wirklichkeit,
Verscheuchte meine Träume.

Die Eichen schüttelten ernsthaft das Haupt,
Die Birken und Birkenreiser,
Sie nickten so warnend - und ich rief:
"Vergib mir, mein teurer Kaiser!

Vergib mir, o Rotbart, das rasche Wort!
Ich weiß, du bist viel weiser
Als ich, ich habe sowenig Geduld -
Doch komme du bald, mein Kaiser!

Behagt dir das Guillotinieren nicht,
So bleib bei den alten Mitteln:
Das Schwert für Edelleute, der Strick
Für Bürger und Bauern in Kitteln.

Nur manchmal wechsle ab, und laß
Den Adel hängen, und köpfe
Ein bißchen die Bürger und Bauern, wir sind
Ja alle Gottesgeschöpfe.

Stell wieder her das Halsgericht,
Das peinliche Karls des Fünften,
Und teile wieder ein das Volk
Nach Ständen, Gilden und Zünften.

Das alte Heilige Römische Reich,
Stell's wieder her, das ganze,
Gib uns den modrigsten Plunder zurück
Mit allem Firlifanze.

Das Mittelalter, immerhin,
Das wahre, wie es gewesen,
Ich will es ertragen - erlöse uns nur
Von jenem Zwitterwesen,

Von jenem Kamaschenrittertum,
Das ekelhaft ein Gemisch ist
Von gotischem Wahn und modernem Lug,
Das weder Fleisch noch Fisch ist.

Jag fort das Komödiantenpack,
Und schließe die Schauspielhäuser,
Wo man die Vorzeit parodiert -
Komme du bald, o Kaiser!"

Auch der Romantiker aus Löbejün, der Komponist Carl Loewe, hat uns Kaiserlieder – etwas andere - hinterlassen.

Carl Loewe: Heinrich der Vogler (5’)

 

Verlassen wir die Romantiker und wenden uns wieder der Epoche der Romanik zu:
Als Papst Urban II. auf dem Konzil zu Clermont im Jahre 1095 dazu aufrief, das Weltliche Jerusalem von den muslimischen Heiden zu befreien und der Christenheit zurückzuerobern, traf er genau den Nerv der Zeit. Bereits zwei Jahre später hatte sich das erste der christlichen Reiseunternehmungen formiert und auf den gefahrvollen Weg in den Orient gemacht.
Es waren vor allem die zahlreichen Verlierer der europäischen Machtkämpfe, abgesetzte, verarmte und enterbte Adelige und deren elendes Gefolge, die sich von den Kreuzzügen nicht nur einen Garantieschein auf himmlische Seeligkeit, sondern vielmehr noch, höchst irdische Reichtümer erhofften.
Die Motive moderner Kreuzzüge sind noch immer dieselben, ihre Vorbereitung dauert ebenso lange und ihre Resultate sind im Prinzip auch keine anderen. In der fast zweihundertjährigen Geschichte der Kreuzzüge hat es niemals Sieger gegeben, nur immer Verlierer.
Aber spätestens in der Mitte des 13. Jahrhunderts als Federico, der Stauferkaiser Friedrich II., Enkelsohn des legendären Barbarossa, Kaiser des deutschen Reiches und beider Sizilien sowie König von Jerusalem war, hielt die orientalische Kultur, Kunst und Wissenschaft ersten Einzug im damals noch finsteren Europa. Die Kreuzfahrer brachten mit diversen Schätzen und christlichen Reliquien auch vielerlei Geschichten und einige Kunstfertigkeiten mit. Federico hat nicht nur, was allgemein bekannt ist, die Kunst der Falkenzucht, sondern auch das Dezimalsystem, die Arabischen Zahlen, die Kunst des Experimentierens - und die Liebeskunst von den Arabern erlernt und in Europa verbreitet.
Die Abenteuer der Kreuzzüge wurden fortan zum Stoff für Märchen und Legenden, und orientalische Sujets kamen in mehreren Wellen immer wieder einmal in Mode. Die beginnende Aufklärung im 18. Jahrhundert bemühte sich erstmals um eine realistische, eben vernünftig-aufgeklärte Sicht auf fremde Völker. Telemann z.B., ein Aufklärer in der Musik, hat u.a. mit der Oper „Miriways“ und seiner „Völkerouvertüre“ diese Sujets aufgegriffen. Aber hören sie von ihm nun zwei Sätze aus der D-Dur-Sonate Nr. 1 für zwei Violinen, Violoncello und Kontrabass.

Telemann: Sonate Nr. 1 D-Dur für 2 Violinen, Violoncello und Kontrabass, Grave, Allegro (3’)

Neben dem märchenhaften Orient blieb natürlich Italien die viel näher liegende Sehnsucht der Deutschen und - Sorgenregion der Deutschen Kaiser. Die unbotmäßigen Städte Italiens unterwarfen sich ungern der deutschen Kaiserherrschaft, und es gab ständige Auseinandersetzungen mit dem Päpstlichen Kirchenstaat, der damals fast ganz Mittelitalien umfasste. Aber ohne die italienischen Vorbilder gäbe es keine Romanik, keine Renaissance, keinen Barock.
Lassen Sie uns noch einen musikalischen Ausflug in die Sehnsuchtsregion aller Deutschen machen. Wir sind bei Hofe in Italien auf einer Hochzeit.

Giordani: Caro mio ben (2,30’)

Es ist nicht geklärt, ob diese bezaubernde Hochzeitsarie von Guiseppe oder Tommaso Giordani stammt. Beide sind Zeitgenossen aber nicht miteinander verwandt. Sie lebten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und beide pflegten ihre Kompositionen nur mit „Signor Giordani“ zu unterzeichnen. Guiseppe ist Neapolitaner, lebte später in Florenz und hat 30, allerdings wenig erfolgreiche, Opern komponiert. Über acht seiner Schaffensjahre finden sich keinerlei Aufzeichnungen. Da kann man sich diese Arie als ein Gelegenheitswerk gut vorstellen. Tommaso, auch er Neapolitaner, stammt aus einer Sänger- und Theaterfamilie und zog mit der familiären wandernden Operntruppe durch Europa nach England und Irland. In den Tournee-Programmen taucht diese Arie nicht auf. In London traf er mit Johann Christian Bach und dem Köthener Carl Friedrich Abel zusammen, aber seine Spuren verlieren sich dann in London. Er war ein sehr fruchtbarer, wenn auch im Urteil seiner Zeitgenossen wenig origineller Komponist. Man geht heute davon aus, dass „caro mio ben“, erst Guiseppe zugeschrieben, doch eher ein Werk Tommaso Giordanis ist. Die Unklarheit hat allerdings der Popularität der Arie keinen Abbruch getan.

 

Wenn wir auf der Straße der Romanik reisen, so reisen wir vor allem durch Kirchen und Klöster. Sie alle prägten das mittelalterliche Leben mindestens genauso sehr wie die weltlichen Herrlichkeiten. Die Machtkämpfe, die die deutschen Kaiser mit dem Papsttum ausfochten, fanden in den Machtkämpfen der weltlichen und Kirchenfürsten ihre Fortsetzung. Aber die Kirchen und die Klöster waren und sind bis heute auch die Horte der Wissenschaften, der Literatur und Musik. Die Kirchenmusik entwickelte sich, vor allem im Laufe des 16. bis 18. Jahrhunderts zu sehr populärer, ja volkstümlicher Musik, und auch hier hat Mitteldeutschland eine reiche Tradition. Einer der beliebtesten Choräle der Christenheit ist „Jesu, meine Freude“, der von Christen beider Konfessionen gesungen wird. Die Melodie stammt von Johann Crüger. Er wurde 1598 in der Niederlausitz als Sohn eines Krügers, also Gastwirtes geboren. Da die Niederlausitz dem katholischen Habsburg zugefallen war, besuchte er nach der protestantischen Gubener Lateinschule ein Jesuitenkolleg in Prag. Im katholischen Regensburg lernte er Kirchenmusik und in Berlin wurde er evangelischer Musikdirektor. In Wittenberg studierte er Theologie und schloss Freundschaft mit dem Kirchendichter Paul Gerhard aus Gräfenhainichen.

Zu weltweiter Verbreitung fand „Jesu, meine Freude“ durch die Bearbeitung Johann Sebastian Bachs in seiner berühmten Motette BWV (Bachwerkeverzeichnis) 227.

Jesu, meine Freude (3’)

1. Jesu, meine Freude,
Meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier,
Ach, wie lang, ach lange
Ist dem Herzen bange
Und verlangt nach dir!
Gotteslamm, mein Bräutigam,
Außer dir soll mir auf Erden
Nichts sonst Liebers werden!

2. Unter deinem Schirmen
Bin ich vor den Stürmen
Aller Feinde frei.
Laß den Satan wittern,
Laß die Welt erschüttern,
Mir steht Jesus bei.
Ob es jetzt gleich kracht und blitzt,
Obgleich Sünd' und Hölle schrecken,
Jesus will mich decken.

3.Trotz dem alten Drachen,
Trotz dem Todesrachen,
Trotz der Furcht dazu!
Tobe, Welt, und springe,
Ich steh' hier und singe
In gar sichrer Ruh';
Gottes Macht hält mich in acht;
Erd' und Abgrund muß verstummen,
Ob sie noch so brummen.

4. Weg mit allen Schätzen,
Du bist mein Ergötzen,
Jesu, meine Lust!
Weg, ihr eitlen Ehren,
Ich mag euch nicht hören,
Bleibt mir unbesucht!
Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod
Soll mich, ob ich viel muß leiden,
Nicht von Jesu scheiden.

5. Gute Nacht, o Wesen,
Das die Welt erlesen,
Mir gefällst du nicht!
Gute Nacht, ihr Sünden,
Bleibet weit dahinten,
Kommt nicht mehr ans Licht!
Gute Nacht, du Stolz und Pracht,
Dir sei ganz, du Lasterleben,
Gute Nacht gegeben!

6. Weicht, ihr Trauergeister,
Denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein!
Denen, die Gott lieben,
Muß auch ihr Betrüben
Lauter Zucker sein.
Duld' ich schon hier Spott und Hohn,
Dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude.

 

Ganz andere, aber nicht weniger eindrucksvolle Literatur ist aus dem Kloster Helfta überliefert. Hier wirkte Mechthild von Magdeburg. Sie war um 1210 im Bereich des Erzbistums Magdeburg geboren und vermutlich Tochter einer Burgmannenfamilie. Sie sei, wie sie selbst berichtet, als 12-jährige erstmals vom Heiligen Geist „gegrüßt“ worden. Seit jenem Tag wiederholten sich ihre Visionen, in deren Folge sie die geistlichen Fragestellungen ihrer Zeit in die sehr sinnliche Sprache der Minnelieder übersetzen konnte. „Das fließende Licht der Gottheit“ heißt ihr berühmtes Werk, in dem sie ihre Visionen aufgeschrieben hat.
Im 3. Kapitel des 3. Buches schreibt sie:

„Die große Zunge der Gottheit hat mir zugesprochen manch starkes Wort.
Dies vernahm ich mit den armseligen Ohren meiner Nichtigkeit;
Und das all-erstrahlende Licht hat sich den Augen meiner Seele aufgetan.
In ihm sah ich die unaussprechliche Ordnung
und erkannte die unsägliche Herrlichkeit und das unfassliche Wunder
und die einzigartige Süße der Unterscheidungsgabe,
die höchste Sättigung und die größte Ordnung in der Erkenntnis,
den Genuss mit Unterbrechung
nach dem Vermögen der menschlichen Kräfte,
die unvermischte Freude in der Gesellschaft der Einung
und das lebendige Leben der Ewigkeit,wie es jetzt ist und immer sein wird.“

Torelli: Trompeten-Konzert D-Dur 3. und 4. Satz (3’)

 

Trompetenmusik klingt uns Heutigen immer feierlich. Sie wurde neben der Violine zum Lieblings-Soloinstrument der Barockzeit. Die Urform der Trompete ist übrigens als kostbare Kriegsbeute während der Kreuzzüge aus dem Orient nach Europa gelangt. Der Minnesänger Walther von der Vogelweide preist sie als wertvollen Schatz, den heilige Ritter zum Hofe brachten. Im Orient war sie das Instrument für Tempel- und Militärmusik, und in Europa wurde sie das Instrument zum Lobpreis Gottes genauso wie zum Anblasen der Schlachten.
Ein ganz besonderer Bläser brachte es in Bernburg zu großer Berühmtheit. Dieser Held gehört unbedingt in unser Mittelalterliches Reich, zumal er auf seinen zahlreichen Reisen an verschiedenen Orten Sachsen-Anhalts sein Wesen trieb.
Hören sie die aus einem Volksbuch von 1510

„Die Zweiundzwanzigst Historie, welche sagt, wie Eulenspiegel sich zu dem Grafen von Anhalt verdingt als ein Turmbläser…“

Nit lang darnach, da kam Eulenspiegel zu dem Grafen von Anhalt. Zu dem verdingt er sich für ein Turmbläser, und der Graf hätt viel Feindschaft, also daß er in dem Städtlein und in dem Schloß die Zeit viel Reiter und Hofvolk beieinander hätt, die man alle Tag speisen mußt. Also ward Eulenspiegel auf der Turmwarten vergessen, daß ihm kein Speis gesandt ward. Und denselben Tag kam es darzu, daß des Grafen Feind vor das Städtlein und Schloß rannten und nahmen die Küh darvor und trieben sie all hinweg. Und Eulenspiegel lag auf dem Turm und gucket durch das Fenster und machet kein Geschrei, weder mit Blasen noch mit Schreien. Und da kam das Gemurmel vor den Grafen, daß er mit den Seinen ihnen nacheilt. Und etliche sahen auf den Turm, daß Eulenspiegel im Fenster lag und lacht. Da ruft ihm der Graf zu: "Wie, liegst du also im Fenster und bist so still?" Eulenspiegel ruft wieder herzu: "Vor Essen, so ruf ich oder tanz nit gern." Der Graf ruft ihm zu: "Willst du nit die Feind anblasen?" Eulenspiegel ruft wieder: "Ich darf kein Feind blasen, das Feld ist sonst voll, und ist mit den Kühen ein Teil hinweg, blies ich erst mehr Feind, sie schlügen euch zu dem Tor herein." Das war also getan mit der Red. Der Graf eilt den Feinden nach, und tummelten sich miteinander, und Eulenspiegel ward wieder vergessen seiner Speis halber. Und der Graf ward ein Weil zufrieden und holt auch ein Haufen Vieh von seinen Feinden, und das hauten sie zu Stücken und brieten.
Eulenspiegel gedacht auf dem Turm, wie er auch etwas von der Beut möchte bringen, und nahm acht der Gelegenheit, wenn es Essenszeit wollt sein. Da fing er an zu rufen und zu blasen: "Feindio, Feindio." Der Graf lief eilends von dem Tisch (da die Kost drauf stund) mit den Seinen und legt den Harnisch an und die Waffen in die Händ, und eilten bald dem Tor zu, in das Feld zu lugen, den Feinden nach. Dieweil lief Eulenspiegel behend von dem Turm und kam über des Grafen Tisch und nahm von der Tafel Gesottens und Gebratens und was ihm beliebt und ging bald wieder auf den Turm. Da nun die Ritter und das Fußvolk kamen, da vernahmen sie von keinen Feinden und sprachen zusammen: "Der Turmmann hat das von Schalkheit getan." Und zogen wieder heim, dem Tor zu, und der Graf ruft zu Eulenspiegeln: "Wie, bist du unsinnig und toll worden?" Eulenspiegel sprach: "Ohn alle arge List, aber der Hunger und Not erdenken manche List." Der Graf sprach: "Warum hast du Feindio geblasen und ist keiner dagewesen?" "Da kein Feind da waren, da mußt ich etlich Feind darher blasen." Da sprach der Graf: "Du krauest dich mit Schalksnägeln: wenn Feind da sein, so willst du sie nit anblasen, und wenn kein Feind da ist, so bläst du die Feind an. Das sollt wohl Verräterei werden." Und setzt ihn ab und dingt ein andern Turmbläser an sein Statt, und Eulenspiegel mußt zu Fuß mit ihnen auslaufen für ein Fußknecht.
Das ward ihm gar sehr verdrießlich und wär gern von dannen gewesen und kunnt doch nit mit Glimpf von dannen kommen. Wenn sie auszogen an die Feind, so hindert er sich allwegs und war allzeit der letzt zum Tor aus, und wenn sie geschafft hatten und sich wieder umkehrten heim, so war er allwegs der vorderst zum Tor ein. Da sprach der Graf zu ihm, wie er das verstehen sollt von ihm: wenn er auszög mit ihm an die Feind, so wär er allwegs mit den letzten, und so man heim zöge, so wär er der erst. Eulenspiegel sprach: "Ihr sollet des nit zürnen, denn wenn Ihr und Euer Hofgesind all aßen, so saß ich auf dem Turm und schmacht. Darvon bin ich ohnmächtig worden. Sollt ich nun der erst an die Feind sein, so müßt ich die Zeit einbringen und ereilen, daß ich auch der erst an der Tafel und der letzt darvon sein, darmit daß ich wieder stark würd; so will ich wohl der erst und der letzt an den Feinden sein." - "So hör ich wohl", sprach der Graf, "daß du das so lang wolltest halten, die Zeitlang, da du auf dem Turm saßest." Da sprach Eulenspiegel: "Wozu jedermann Recht hat, das nimmt man ihm gern." Der Graf sprach:
"Du sollst nit lang mein Knecht sein" und gab ihm Urlaub. Des war Eulenspiegel froh, denn er hätt nit gute Lust, allen Tag mit den Feind zu fechten.“

Turmmusik: Samuel Scheidt: Gaillarde (2’)

Feinde werden nun nicht mehr angeblasen, aber dafür gelangten die Turmmusiken zu neuem Glanz, wie in dieser Gaillarde von Samuel Scheidt eindrucksvoll zu hören ist.
Scheidt stammt aus Halle und wuchs als Sohn eines städtischen Ratsbierschenks auf, ein Amt, das Ende des 16. Jahrhunderts bereits ebenso einträglich und angesehen war, wie es heutzutage ebenfalls ist, auch ohne den vornehmen Titel. Samuel war schon mit 17 Organist auf der Moritzburg, wurde Orgelsachverständiger und später Hallischer „director musices“, ein Amt, das extra für ihn geschaffen wurde. Später wurden solche Ämter auch in anderen Städten eingerichtet, z. B. in Hamburg, wo Georg Philipp Telemann mehr als 40 Jahre dieses Amt bekleidete.
Dem „director musices“ oblag die Kirchen- und die städtische Musik. Zu letzterer gehörte auch das Turmblasen.
Eine andere städtische Musiktradition ist ebenfalls bereits aus den Zeiten der Minnesänger überliefert, die Serenaden. Zu den obligatorischen Wettbewerbsprogrammen der mittelalterlichen Sänger gehörten die abendlichen Musiken, die der angebeteten Dame unterm Fenster des Schlafgemaches dargebracht wurden. Der Brauch ist so schön, dass er sich durch die Jahrhunderte erhalten hat, und auch wir möchten unseren historischen Ausflug mit einer Nachtmusik, wieder von Telemann, beenden und uns stilvoll von Ihnen verabschieden.

Telemann: Konzert für Violine und Trompete, 3. Satz Allegro (1.30’)

 

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