Weggeleit

W E G G E L E I T   -   V E R S U C H   E I N E S   V O R W O R T E S 

Ein Wort vor dem Wort sagen bedeutet landläufig, man erklärt das Wort, das danach beginnt. In diesem Vorwort möchte der Verfasser eigentlich mehr die Absicht des zu machenden Wortes im Auge haben, sagen, warum es gemacht werden soll.

Die vor fünf Jahren begonnene Veränderung hier im Land, durch den Beitritt der DDR zur alten Bundesrepublik, schlicht "Wende" genannt, bezog sich auch auf eine ausgeprägte Kulturlandschaft. Sie zeigte sich in einer großen Vielfalt kulturellen Schaffens. Nicht zu streiten wäre sicher über die politische Orientiertheit, wurde doch als Ziel "die allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit" ausgegeben. Genausowenig können kulturelle Verordnungen von Partei und Staat in Abrede gestellt werden, die diesem Ziel dienten. Aber da war auch noch etwas anderes, jenseits von Konvergenz und Opposition:

Menschen, die sich einfach kulturell betätigten oder äußern wollten, genauso wie überall in der Welt. Sie lebten hier und verspürten in ihrer Mehrheit nicht die Absicht, ihre Heimat zu verlassen, sie hatten sich eingerichtet für ihr Leben. Verständlich sicher, denn an eine baldige Wiedervereinigung beider Deutschlands dachte in den Zeiten des kalten Krieges kaum einer, nach eigenen Aussagen selbst Kanzler Kohl nicht. So gehörte zum Leben die natürliche Triebkraft, selbst kreativ tätig zu sein und gestalten zu wollen, kulturelle Neigungen mit Genuss und Vergnügen zu erfüllen. Niemand wird leugnen können, dass es dafür in der damaligen DDR genügend Möglichkeiten gab. Unzählige kulturelle Werte sind in den vierzig Jahren DDR so entstanden, die zwar in Parteibeschlüssen gelistet werden konnten, nicht aber auf sie zurückzuführen waren. Sie waren auch nicht aus Opposition entstanden. Im Gegenteil, freudig wurden die gebotenen Möglichkeiten für den persönlichen Zugewinn genutzt. Die oft in den Medien verbreitete Meinung, Anbiederung und Selbstverleugnung seien der Preis dafür gewesen, ist nicht richtig. Man darf den Karrierismus und die Profilierungssucht Einzelner nicht zum Maßstab der Mehrheit machen.

Es sollte zur Normalität gehören, ohne politischen Widerspruch von den kulturellen Werten zu sprechen, die von den Menschen in der ehemaligen DDR geschaffen wurden, die es gilt, mitzunehmen in die Gegenwart und zu bewahren für die Zukunft. Sie zu verschweigen oder zu beseitigen, hieße hunderttausenden Menschen ein Stück Ihres Lebens rauben. Deshalb ist es notwendig, die kulturelle Landschaft genau zu analysieren. Verwerfungen müssen kenntlich gemacht und ideologische Wichtungen entfernt werden. Erhaltenswertes muss benannt werden, auch wenn es bereits verfallen oder vom Verfall bedroht ist. Der Verfasser, der so frei war, sich ein Wort vor dem Wort zu nehmen, denkt, dass es gut ist, wenn der Landeskulturrat Sachsen-Anhalt e.V. sich der Sache annehmen will.

Unter dem Titel "Analyse des Zustandes kultureller Landschaften im Land Sachsen-Anhalt", sollen viele Ansichten und Einsichten öffentlich gemacht werden. Das Kultusministerium von Sachsen-Anhalt fördert dieses Projekt, wofür herzlich gedankt werden soll. Die ersten Gedanken mehrerer Autoren sollen im Sinne dieser Wegleitung auf den Weg gebracht werden. Es ist gewiss keine leichte, sicher aber eine nützliche Aufgabe, die sich der Landeskulturrat e.V. gestellt hat.

Glück auf den Weg also für diese und hoffentlich alle folgenden Herausgaben. Sie sind jährlich geplant. Mögen sie ihr Ziel, Einsichten zu wecken für den Erhalt und die Förderung reicher kultureller Landschaften in Sachsen-Anhalt, erreichen.

Kurt Gehrmann


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