In den
letzten Augusttagen des Jahres 1919 schritt ein junger Mann,
vierundzwanzigjährig, durch die Straßen Magdeburgs. Er war kurz zuvor, von
Altenburg kommend, in der Elbestadt eingetroffen. Seine Geige begleitete ihn.
Mit ihr wollte er die Magdeburger Musikfreunde gewinnen. Würde er hier den
triumphalen Erfolg fortsetzen können, der 1913 in Königsberg begann und ihm in
Altenburg treu geblieben war? Dieser junge Mann war Otto Kobin, und Magdeburg
wurde ihm zum Schicksal, wurde für ihn die Stätte, da er über dreiundeinhalb
Jahrzehnte als Erster Konzertmeister an den Städtischen Bühnen wirken konnte,
von wo aus er den Ruhm der Magdeburger Musikkultur durch unzählige Konzerte
hinaustragen konnte nach Berlin, Hamburg, Königsberg, Danzig, Leipzig, Halle,
Hannover, Dessau, Braunschweig, Osnabrück. Und die späteren Jahre wirkte er an
der Musikhochschule in Halle und widmet sich dort der Heranbildung eines guten
musikalischen Nachwuchses. Warum wir das
schreiben? Es ist zweifellos als Glücksfall zu bezeichnen, dass Otto Kobin -
seit einiger Zeit trägt er den Titel Professor - vierzig Jahre der Stadt Magdeburg
treu geblieben ist. Er hat zu seinem Teil mit dazu beigetragen, dem Namen
Magdeburgs als Musikstadt einen guten Klang zu verleihen. In mehr als hundert
Sinfoniekonzerten trat er hier als Solist auf und begeisterte die Musikfreunde
durch das Hehre seines Geigentones und die souveräne Art der Gestaltung. Wir sitzen in
Professor Kobins Arbeitszimmer und plaudern über die vergangenen vierzig Jahre.
An den Wänden hängen die Porträts seines Vaters, der sein erster Lehrer war,
und Professor Hans Sitts, dem er eine gute Ausbildung verdankt und für den er
eine hohe Verehrung im Herzen trägt. Begeisternd plaudert Professor Kobin aus
der Erinnerung, spricht von seinem ersten Konzert in Magdeburg unter Dr. Rabl:
Er spielte das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 111 von seinem
Lehrer Hans Sitt und das Konzert für Violine und Orchester D-Dur von Mozart.
Damit war das Eis gebrochen und der junge Konzertmeister hatte sich in die
Herzen der Magdeburger hineingespielt. Ein reiches künstlerisches Betätigungsfeld
tat sich ihm auf. Neben dem Theaterdienst widmete er sich ganz besonders der
Kammermusik und gründete ein Streichquartett. Weiterhin wirkte er als Solist in
unzähligen Konzerten unter bedeutenden Dirigenten, wie Bruno Walter, Hermann
Abendroth, Otto Volkmann u.a. Das hört sich
alles, wenn man es notiert, recht einfach an. Aber welche anstrengende Arbeit
steckt dahinter! Allein das Theater zu damaliger Zeit: Vier verschiedene Opern
standen in jeder Woche auf dem Spielplan. Dazu kamen noch Proben zu
Sinfoniekonzerten und Kammermusiken. Dann musste auch die private Übungszeit
berücksichtigt und eingehalten werden, um für auswärtige Verpflichtungen
gerüstet, zu sein. Otto Kobin besitzt
ein reichhaltiges Archiv, das ihm glücklicherweise trotz Kriegswirren erhalten
geblieben ist. Hier finden sich alle Aufzeichnungen und Programme, Kritiken und
Besprechungen über alle Konzerte, die er gespielt hat. Und da klingen Namen an
von Weltformat, Werke werden wieder lebendig, die lange der Vergessenheit
angehören, es finden sich aber auch Musikstücke darunter, die er aus der Taufe
gehoben hat und die sich später in den Konzertsälen der Welt durchgesetzt
haben. Um einmal die
Arbeitsintensität Otto Kobins zu verdeutlichen, seien einige Beispiele
angeführt. Vor uns liegt ein Plakat vom 18. Februar 1930. Otto Kobin gab ein
Konzert mit dem Leipziger Sinfonie-Orchester unter Leitung von Otto Volkmann.
Auf dem Programm war zu lesen: Rudi Stephan: Musik für Violine und Orchester;
Beethoven: Violinkonzert; Brahms: Doppelkonzert für Violine, Cello und
Orchester (den Cellopart spielte sein alter Freund Professor Julius Klengel).
Lächelnd berichtete uns Otto Kobin, dass er an einem Tage einmal vier Veranstaltungen
hatte. In Halle gab er an einem Morgen eine Matinee mit Werken von Brahms,
Beethoven und Haydn; um 15 Uhr noch ein Konzert; am Abend hatte er in Magdeburg
im Theater den Figaro zu spielen, und hinterher wirkte er noch in einem
Hauskonzert mit. Danach, so fügt Kobin hinzu, habe er aber seine Finger nicht
mehr gespürt, sie waren wie abgestorben gewesen.
In der
Erinnerung ist allerdings nur das Schöne zurückgeblieben und das überglänzt ein
Leben für die Musik. Die Begegnungen, Erfolge und das Reifwerden, all das gibt
diesem Leben für die Kunst etwas Beglückendes, etwas Heiteres. Otto Kobin ist
weit davon entfernt, sich nun auf den Erfolgen auszuruhen. Sein rastloser Geist
arbeitet unermüdlich. Dem großen Sohn Magdeburgs, Georg Philipp Telemann,
gehört seine ganze Liebe. Seit Jahren dient Otto Kobin gerade seinem Werk. Und
er möchte es noch erleben, dass eines Tages doch eine Gesellschaft ins Leben
gerufen wird, die den Namen dieses Großen trägt und von der aus neue Ströme
fließen, um dessen großes Werk wieder allen zugängig zu machen durch eine gute
Pflege seiner Musik und durch Veröffentlichungen zu seinem Schaffen. So steht
auch Otto Kobin vor uns als ein Vorbild, als Mensch, Künstler, Lehrer, der in
Magdeburg entscheidende Bildungserlebnisse empfing, die seinem Künstlertum
nützlich waren, und der dieser Statt nun vierzig Jahre die Treue hielt. Es gilt
ihm zu danken für die Treue, es gilt ihm zu danken für die vielen
künstlerischen Erlebnisse, die er mit seiner Geige den Musikfreunden
vermittelte. Es gilt ihm aber auch weiterhin viel Freude und gute
Schaffenskraft zu wünschen im Dienste eines wohlausgebildeten künstlerischen
Nachwuchses, dem er sich nun wieder - nachdem die Telemann-Schule ihre Pforten
geschlossen hat - in Halle mit Hingabe widmen wird.
Friedrich Peter Rochow
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