Der Neue Weg vom 12. September 1959

Vierzig Jahre Treue zur Musikstadt Magdeburg
Gruß und Dank an Professor Otto Kobin - Aus über hundert Sinfoniekonzerten bekannt

In den letzten Augusttagen des Jahres 1919 schritt ein junger Mann, vierundzwanzigjährig, durch die Straßen Magdeburgs. Er war kurz zuvor, von Altenburg kommend, in der Elbestadt eingetroffen. Seine Geige begleitete ihn. Mit ihr wollte er die Magdeburger Musikfreunde gewinnen. Würde er hier den triumphalen Erfolg fortsetzen können, der 1913 in Königsberg begann und ihm in Altenburg treu geblieben war? Dieser junge Mann war Otto Kobin, und Magdeburg wurde ihm zum Schicksal, wurde für ihn die Stätte, da er über dreiundeinhalb Jahrzehnte als Erster Konzertmeister an den Städtischen Bühnen wirken konnte, von wo aus er den Ruhm der Magdeburger Musikkultur durch unzählige Konzerte hinaustragen konnte nach Berlin, Hamburg, Königsberg, Danzig, Leipzig, Halle, Hannover, Dessau, Braunschweig, Osnabrück. Und die späteren Jahre wirkte er an der Musikhochschule in Halle und widmet sich dort der Heranbildung eines guten musikalischen Nachwuchses.
Warum wir das schreiben? Es ist zweifellos als Glücksfall zu bezeichnen, dass Otto Kobin - seit einiger Zeit trägt er den Titel Professor - vierzig Jahre der Stadt Magdeburg treu geblieben ist. Er hat zu seinem Teil mit dazu beigetragen, dem Namen Magdeburgs als Musikstadt einen guten Klang zu verleihen. In mehr als hundert Sinfoniekonzerten trat er hier als Solist auf und begeisterte die Musikfreunde durch das Hehre seines Geigentones und die souveräne Art der Gestaltung.
Wir sitzen in Professor Kobins Arbeitszimmer und plaudern über die vergangenen vierzig Jahre. An den Wänden hängen die Porträts seines Vaters, der sein erster Lehrer war, und Professor Hans Sitts, dem er eine gute Ausbildung verdankt und für den er eine hohe Verehrung im Herzen trägt. Begeisternd plaudert Professor Kobin aus der Erinnerung, spricht von seinem ersten Konzert in Magdeburg unter Dr. Rabl: Er spielte das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 111 von seinem Lehrer Hans Sitt und das Konzert für Violine und Orchester D-Dur von Mozart. Damit war das Eis gebrochen und der junge Konzertmeister hatte sich in die Herzen der Magdeburger hineingespielt. Ein reiches künstlerisches Betätigungsfeld tat sich ihm auf. Neben dem Theaterdienst widmete er sich ganz besonders der Kammermusik und gründete ein Streichquartett. Weiterhin wirkte er als Solist in unzähligen Konzerten unter bedeutenden Dirigenten, wie Bruno Walter, Hermann Abendroth, Otto Volkmann u.a.
Das hört sich alles, wenn man es notiert, recht einfach an. Aber welche anstrengende Arbeit steckt dahinter! Allein das Theater zu damaliger Zeit: Vier verschiedene Opern standen in jeder Woche auf dem Spielplan. Dazu kamen noch Proben zu Sinfoniekonzerten und Kammermusiken. Dann musste auch die private Übungszeit berücksichtigt und eingehalten werden, um für auswärtige Verpflichtungen gerüstet, zu sein.
Otto Kobin besitzt ein reichhaltiges Archiv, das ihm glücklicherweise trotz Kriegswirren erhalten geblieben ist. Hier finden sich alle Aufzeichnungen und Programme, Kritiken und Besprechungen über alle Konzerte, die er gespielt hat. Und da klingen Namen an von Weltformat, Werke werden wieder lebendig, die lange der Vergessenheit angehören, es finden sich aber auch Musikstücke darunter, die er aus der Taufe gehoben hat und die sich später in den Konzertsälen der Welt durchgesetzt haben.
Um einmal die Arbeitsintensität Otto Kobins zu verdeutlichen, seien einige Beispiele angeführt. Vor uns liegt ein Plakat vom 18. Februar 1930. Otto Kobin gab ein Konzert mit dem Leipziger Sinfonie-Orchester unter Leitung von Otto Volkmann. Auf dem Programm war zu lesen: Rudi Stephan: Musik für Violine und Orchester; Beethoven: Violinkonzert; Brahms: Doppelkonzert für Violine, Cello und Orchester (den Cellopart spielte sein alter Freund Professor Julius Klengel). Lächelnd berichtete uns Otto Kobin, dass er an einem Tage einmal vier Veranstaltungen hatte. In Halle gab er an einem Morgen eine Matinee mit Werken von Brahms, Beethoven und Haydn; um 15 Uhr noch ein Konzert; am Abend hatte er in Magdeburg im Theater den Figaro zu spielen, und hinterher wirkte er noch in einem Hauskonzert mit. Danach, so fügt Kobin hinzu, habe er aber seine Finger nicht mehr gespürt, sie waren wie abgestorben gewesen.

In der Erinnerung ist allerdings nur das Schöne zurückgeblieben und das überglänzt ein Leben für die Musik. Die Begegnungen, Erfolge und das Reifwerden, all das gibt diesem Leben für die Kunst etwas Beglückendes, etwas Heiteres. Otto Kobin ist weit davon entfernt, sich nun auf den Erfolgen auszuruhen. Sein rastloser Geist arbeitet unermüdlich. Dem großen Sohn Magdeburgs, Georg Philipp Telemann, gehört seine ganze Liebe. Seit Jahren dient Otto Kobin gerade seinem Werk. Und er möchte es noch erleben, dass eines Tages doch eine Gesellschaft ins Leben gerufen wird, die den Namen dieses Großen trägt und von der aus neue Ströme fließen, um dessen großes Werk wieder allen zugängig zu machen durch eine gute Pflege seiner Musik und durch Veröffentlichungen zu seinem Schaffen. So steht auch Otto Kobin vor uns als ein Vorbild, als Mensch, Künstler, Lehrer, der in Magdeburg entscheidende Bildungserlebnisse empfing, die seinem Künstlertum nützlich waren, und der dieser Statt nun vierzig Jahre die Treue hielt. Es gilt ihm zu danken für die Treue, es gilt ihm zu danken für die vielen künstlerischen Erlebnisse, die er mit seiner Geige den Musikfreunden vermittelte. Es gilt ihm aber auch weiterhin viel Freude und gute Schaffenskraft zu wünschen im Dienste eines wohlausgebildeten künstlerischen Nachwuchses, dem er sich nun wieder - nachdem die Telemann-Schule ihre Pforten geschlossen hat - in Halle mit Hingabe widmen wird.

Friedrich Peter Rochow

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