Das Kulturportal kukma.net besuchte den "Kulturscheune Olvenstedt" e.V. - Magdeburg-Olvenstedt, Stephan-Schütze-Straße 1


Der Text über Schütze, dargeboten von Peter Sodann zur erbaulichen Einführung:

Es war gleich hier um die Ecke, wo am 1. November 1771 dem angesehenen Bauern Johann Schütze der zweite Sohn Johann Stephan geboren wurde. Das Kind, so wussten die Schütze-Eltern bald, würde die Landwirtschaft nicht übernehmen. Er war schwach, kränkelte oft und war verwachsen.

Aber ein anderes Talent zeigte sich sehr früh. Schon als Neunjähriger schrieb der aufgeweckte Junge kleine Prosastücke und später, zur Freude der Dorfgemeinde, Hochzeits- und Scherzgedichte, Rätsel und, für seine Schulkameraden in der Olvenstedter Dorfschule, jeden Sonnabend eine kleine Predigt.

Vater Schütze förderte Stephans geistige Entwicklung und gab ihn nach Magdeburg in die Domschule. Er sollte später Theologie studieren und Pfarrer werden, was damals, anders als heute, ein ausgesprochener Brotberuf war.

Zunächst aber wurde Stephan nach nur einem Jahr an der Domschule Kaufmannslehrling bei seinem Onkel Christian, der das renommierte „Handelshaus Kusskopf“ am Breiten Weg geerbt hatte. Hier wurde er Schreiber und schrieb etwas mehr als nur Kaufmannsbilanzen, z. B. Gedichte und ein erstes kleines Theaterstück, eine durch die französische Revolution inspirierte Posse „Der Bauer mit Perücke“.

Aber Kaufmann war nicht der Traumberuf des Jungen. Er verfasste 1789 einen langen Bittbrief an den Onkel, er möge ihn doch studieren lassen und hatte Erfolg, was zeigt, dass schriftstellerische Begabung auch praktische Probleme zu lösen hilft.

Mit 18 wird Johann Stephan Schütze Schüler am damals sehr berühmten Pädagogium im Kloster Berge vor den Toren Magdeburgs (Es stand genau da, wo heute das Gesellschaftshaus im Kloster-Berge-Garten steht.) Dort legt er 1794 als 23-jähriger das Abitur ab.

Noch immer will Stephan Pfarrer werden und studiert erst in Erlangen und danach an der Universität Halle Theologie und schließt mit glänzenden Zeugnissen ab.

Aber Pfarrer ist Johann Stephan Schütze nie geworden.

Ein Zeitungsartikel aus Olvenstedt, der dem Sohn des Ortes zum einhundertsten Todestag 1939 gewidmet ist, erinnert ausgerechnet daran, dass Schütze, der ab 1804 in Weimar lebte dort ein „Stadtbekanntes Original“ gewesen sei und der „ewige Predigtamtskandidat“ genannt wurde, weil er zwar Hofrat wurde, aber niemals eine von ihm sehnlichst herbeigewünschte Pfarrstelle bekommen habe. Man überging ihn regelmäßig wegen seiner körperlichen Gebrechen.

Statt Pfarrer wird Johann Stephan Schütze Dichter, was damals durchaus noch zu den „richtigen“ Berufen zählte. Bereits während seiner Studienzeit in Halle schrieb er ein Gedicht, das ausschließlich dem Zwecke des Broterwerbs dienen sollte, nicht seines eigenen allerdings.

Im Jahr 1796 dichtet er

 

„Dorfruinen“


„Dorfruinen“

 

Du gehst hinaus und siehst die Saat des Landmanns grünen,

Und schaust im Ährenfeld den Reichtum der Natur,

So komm und sieh nun auch in Schutt und in Ruin

Die Sorge eines Jahrs, den Segen einer Flur.

 

Daß reichlich ihm die Saat zur Ernte Früchte trüge,

dies war sein Wunsch; ihm ward, was hoffend er begehrt,

Daß ihm die Halmen nicht ein Hagelschlag zerschlüge,

Das war sein Flehn; es ward sein Bitten ihm gewährt.

 

Rührt dich, o Städter, schon so manche Trauerscene

Durch Künstler dargestellt, zum sanften Mitgefühl,

So komm denn auch und sieh! Und weine eine Thräne,

Durch wahre Noth gerührt, dem großen Trauerspiel.

 

So hilf und laß nicht den Armen trostlos bitten,

Im nahen Dorfe währt sein Obdach kurze Zeit,

Der Winter bricht herein, es geben Bretterhütten,

Auf Trümmer schnell erbaut, nur bange Sicherheit.

 

Umsonst hat dich noch nie ein Leidender gebeten,

Beim Becherklange dringt sein leiser Seufzer durch;

Berühmt im Wohltun ist ja unter vielen Städten

Schon längst, o Menschenfreund, durch dich dein Magdeburg.

Im Sommer 1796 war das Dorf Snarsleben abgebrannt, ein Dorf, aus dem Stephan Schützes Vater stammte. Heute ist es ein Teil von Niederndodeleben. Im Untertitel zu dem Gedicht heißt es:

 

Ein Gedicht, welches für das eingeäscherte Dorf Snarsleben um Hülfe fleht (Wird zum Besten der Abgebrannten verkauft für vier Groschen).

Wieviel Erfolg die Benefizaktion hatte, ist allerdings nicht überliefert.

 

Für den eigenen Unterhalt reichte die Dichtkunst dann doch nicht aus. Er wird Hauslehrer und Hofmeister beim Sohn des Barons von Putlitz, den er ab April 1800 an die Kloster Berge Schule begleitet. Er ist wieder in Magdeburg und unter der finanziellen Obhut seines wohlhabenden Onkels gelandet. Hier schreibt er Gedichte, Aufsätze, Stücke…

Als 1804 infolge der Napoleonischen Kriege Kirchen und Klöster in großem Stil säkularisiert werden, trifft es auch das Kloster Berge. Das Pädagogium wird aufgelöst, die Schüler und ein großer Teil der Klosterschätze, die Sammlungen, die Bibliothek u. a. kommen - damals wie heute – nach Halle.

Johann Stephan Schütze wird arbeitslos und schreibt, wieder einmal, einen Bittbrief an den Onkel. Der lässt sich abermals überzeugen und ermöglicht ihm mit einer jährlichen Unterstützung von 600 Talern ein Leben als freischaffender Schriftsteller.

Als freier Schriftsteller gab es damals nur einen Weg, den nach Weimar, der „Musenhauptstadt“.


In Weimar wird Johann Stephan Schütze Schützling von Christoph Martin Wieland und wird in sein Haus aufgenommen. Ab 1806 fand er Zugang zu den literarischen Salons, insbesondere dem der Hofrätin Johanna Schopenhauer, der Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer. Nach dem tragischen Unfall ihres Mannes, einer Hamburger Kaufmanns, kam Johanna mit der Tochter Adele 1806 nach Weimar – Arthur blieb allein in Hamburg -  und wurde bald berühmt für ihre literarischen Teegesellschaften und Abendzirkel und in den Folgejahren auch, ganz im Gegensatz zu ihrem Sohn, für ihre schriftstellerischen Arbeiten.

Johann Stephan Schütze gehörte bald zu den fruchtbarsten Unterhaltern im Salon Schopenhauer, und hier lernt er auch Goethe kennen.

In zeitgenössischen Memoiren findet sich die folgende Passage:

 

Ein merkwürdiger Mann. Anläßlich der Götegeburtstage putzte er allemal ordentlich ein carmen hervor, weigerte sich aber andererseits standhaft, das götesche Haus zu betreten. Als es sich einmal begab, dass Schütze vor Fieber in Johanna Schopenhauers Salon fehlte, bekam er auch von Göten Krankensuppe auf den Hals geschickt. Sogar Jean Paul war freundlich: Er lobte Schütze für das obsolete Stück „Der verliebte Postmeister“.

 

Die Krankengabe Goethes fand auch eine Erwiderung:

Unter Eckermanns Gesprächen Mit Goethe findet man unter dem 15. Mai 1826 den Eintrag:

Ich sprach mit Goethe über Stephan Schütze, über den er sich sehr wohlwollend äußerte.

„In den Tagen meines krankhaften Zustandes von voriger Woche“, sagte er, „habe ich seine ‚Heitern Stunden’ gelesen. Ich habe an dem Buche große Freude gehabt. Hätte Schütze in England gelebt, er würde Epoche gemacht haben; denn ihm fehlte bei seiner Gabe der Beobachtung und Darstellung weiter nichts, als der Anblick eines bedeutenden Lebens.“

Goethe selbst schätzte ihn nicht nur als Dichter, sondern auch als unterhaltsamen Begleiter. Seine erste Badereise mit dem berühmten Goethe nach Karlsbad brachte ihm weit über Weimar hinaus Anerkennung.

Später wird Schütze Taufpate in der Familie Goethes, begleitet dessen Sohn August auf seiner Italienreise und schreibt auch den Nekrolog für ihn.

Seine literarischen Werke, Gedichte, Erzählungen, zahlreiche Theaterstücke, aber auch Kritiken und literaturtheoretische Aufsätze wurden sehr unterschiedlich aufgenommen. Interessiert und wohlwollend wurde sein einziger Roman „Der unsichtbare Prinz“ beurteilt. Der Roman war zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine noch sehr junge Gattung und weckte Neugier.


Über seine Lyrik sind die Urteile geteilt:

 

„Voll schalkhafter Laune und liebenswürdiger Naivität …. Schaffende Fantasie, das erste Erfordernis eines Dichters wird überall sichtbar, gebildeter Kunstgeschmack leuchtete überall, auch im Verfehlten, hervor. Der Verfasser dichtet mit Lust und Liebe, daher das Gemütliche, Leichte, Wahre seiner Schöpfungen. Endlich ist er im Technischen seiner Kunst Meister, und seine Sprache ist Wohllaut“, schreibt ein Rezensent in der „Allgemeinen Literaturzeitung“ 1814.

Ein Urteil, das man auch heute wiederholen könnte, Formvollendet, Schalkhaft und mit Liebe wie etwa im Sonett mit dem lehrreichen Titel

Politik

 

Nimmer werd ich meinen Nacken beugen,

Fremden Druck mit Schweigen nie ertragen,

Nie den stolzen Leib in Fesseln schlagen:

Also schwur Amant, ich will’s bezeugen.

 

Da erschien, die lange schon sein eigen,

Laura – und die list’gen Freunde fragen,

Wie er solche Lästrung dürfe wagen,

Und zur Antwort naht’ er ihr mit Schweigen.

 

Seinen Nacken beugt er – sie zu küssen,

Druck ertrug er – doch von ihrer Hand,

Und umarmend hält ihn – welch ein Band!

 

Ganz von Lust im Taumel fortgerissen,

Rief er, was das volle Herz empfand:

Freunde, hier ist Freiheit, Vaterland!


Goethe schätze Johann Stephan Schütze aber noch aus einem anderen Grunde. Der Bauernsohn Schütze nämlich war in der intellektuellen Stubenhockergesellschaft von Weimar der Erfinder regelmäßiger Landpartien, die beide lange Zeit gemeinsam, aber auch allein unternahmen.

Später entfremdeten sich Goethe und Schütze immer mehr. Schütze vermochte wohl dem Hochflug der Goetheschen Gedanken bald nicht mehr zu folgen. Aber auch sonst begann Schützes Stern zu sinken. Nach den Befreiungskriegen war ein neues Geschlecht entstanden, dem Schützes tänzelnde Lyrik überlebt erschien. So wurde der Doktor Schütze schließlich in Weimar zu einem Sonderling und zu einem bespöttelten Original. Am Sonntag nahm er sich regelmäßig nach Besuch des Gottesdienstes eine Kutsche und führ ganz allein auf irgendeines der umliegenden Dörfer hinaus, wo er den ganzen Nachmittag zubrachte. Auf seine alten Tage hatte er sich noch mit einer Hofdame verheiratet, aber auch seine Frau hat er zu diesen Sonntagsausflügen nie mitgenommen. Auf Veranlassung der Großherzogin Maria Pawlowna, vielleicht auch des alternden Goethe wurde er noch zum Hofrat ernannt.

Als Schütze am 20. März 1839 in Weimar starb, war er bereits ein vergessener Mann.

So steht es in einem Zeitungsartikel, der 1890 an den „vergessenen“ Dichter aus Olvenstedt erinnert.

Ganz vergessen allerdings war er doch auch damals noch nicht, denn zumindest seine Theaterstücke finden sich noch lange auf den Spielplänen z. B. der Berliner Bühnen. In seinem Goethe-Roman „Lotte in Weimar“ hat Thomas Mann ihn an mehreren Stellen „Als Schriftsteller aus der Nachbarschaft“ erwähnt.

Auch seine Gedichte sind noch nicht ganz vergessen, denn sie sind mehrfach im 19. Jahrhundert vertont worden.

 

So auch etwa der

 

 

 

 

Seufzer des Gefangenen


Warum ich bleibe,

Warum ich traurig bin?

Fragt nur die Nachtigall;

Sie flog sonst überall

Durch Wies' und Blumen hin

Zum Zeitvertreibe.

 

Bis auf den Auen

Sie jüngst die Rose sah;

Nun sitzt sie trauernd dort,

Versteckt am dunklen Ort,

Nur stets der Rose nah,

Sie anzuschauen.

 

So hält gefangen

Mich jetzt ein Veilchenpaar;

Es bannet Herz und Sinn,

Es zieht zur Nachbarin

Ein Äuglein blau und klar

Seel' und Verlangen.

 

Die Freunde rufen,

Es ladet Spiel und Schmaus,

Es lockt der Hörner Klang,

Des Waldes Jagdgesang;

Ich kann nicht aus dem Haus,

Nicht von den Stufen.

 

Ein Herz voll Sorgen!

Es rührt und regt sich nicht.

Ist sie wohl ganz allein?

O dürft ich bei ihr sein!

O lieblich Angesicht,

Warum verborgen!

Blüht doch so gerne

Die Ros' in ihrer Zier

Dem Sänger licht und frei,

Daß er nicht traurig sei:

Warum, o Veilchen, mir

Kein Blick von ferne?

 

Halb mit Vertrauen

Umschweb' ich Tür und Haus,

Und wie ein Vogel schwirrt,

Wenn Tür und Fenster klirrt,

So flieg' ich ein und aus,

Läßt du dich schauen.

 

Ein halbes Leben,

Nur halb gefesselt sein,

So auf und ab zu fliehn,

Den ew'gen Kreis zu ziehn,

Von Schmerz zur vor'gen Pein

Zurück zu schweben.

 

O süß Verlangen,

Du Blick voll Himmelsglanz,

O tu dich strahlend auf,

Gib Flügel meinem Lauf,

O nimm mich endlich ganz

Zu dir gefangen.

 

 

 

 

Genießen Sie nun die Gedichte von Johann Stephan Schütze in ganz neuen Vertonungen:

„Die Musenhauptstadt“ von Reinhard Seehafer


anlässlich der Uraufführung des Liederzyklus "Musenhauptstadt" von Reinhard Seehafer nach Texten von J. Stephan Schütze