Es brennt in
Magdeburg. Oberbürgermeister Lutz Trümper betreibt
offen die Abberufung des General
intendanten des Theaters der
Landeshauptstadt (TdL), Max K. Hoffmann. Dieser hat ein
gewaltiges Projekt im Sinn: Wagners „Ring" im Freien, eine
Weltneuheit (siehe auch Beitrag auf der Kulturseite, Teil IV).
Magdeburg liefert Stoff für die Feuilletons im deutschsprachigen
Raum und darüber hinaus. Auf dem Spiel steht mehr als
die Person Hoffmann und seine „Ring"-Idee. Auf dem Spiel
steht die Theaterzukunft Magdeburgs.
Von Franz Kadell
Vor dem Betrachter liegt ein kaum entwirrbares Knäuel. Worum
geht es eigentlich in dem Streit? Um die Überziehung des Etats, den der Generalintendant zu verantworten hat? Um das Klima und den persönlichen
Umgang im Theater? Um die finanziellen
Risiken des „Ring"-Projekts? Um eine neue Strukturdebatte
über die Theaterlandschaft Magdeburgs angesichts dramatischer öffentlicher Kassenlage, wobei der Streit nur Mittel zum Zweck ist? Um personelle Machtfragen, um Rache und Ranküne? Die Wahrheit
dürfte sein wie so oft: An jedem Aspekt ist etwas dran. Und je nach Interessenlage wird
der eine oder andere Gesichtspunkt
stärker gesehen. Das schafft Emotionen und
Verbissenheit, auch Schlammschlacht
und Intrige. Der Vorwurf
der Etatüberziehung zieht immer in Zeiten
strengster Sparzwänge, wo Bibliotheken und
Schwimmbäder geschlossen, Brunnenwasserspiele und Straßenbeleuchtung abgeschaltet, Zuschüsse hier und
da gestrichen werden. Die Summe
von 368 000 Euro scheint zunächst groß, gemessen an den Gesamtzuschüssen von fast elf Millionen Euro nicht so exzessiv (3,48 Prozent). Jeder Fachmann
bestätigt, dass eine punktgenaue Einhaltung an einem solchen Haus, gar nicht möglich ist. An manch anderem Theater in Deutschland wird weit
mehr überzogen, ohne dass der Intendant zur Disposition stünde. Außerdem lässt sich einiges erklären, z.
B. durch höhere
Energiekostenbescheide. Deshalb kippt
man jedenfalls keinen Generalintendanten zwei Jahre vor Auslaufen seines Vertrages. Das kann es also nicht sein. Wenn
hinzukommt, dass auch die Handy-Rechnungen des Generalintendanten auf
mögliche Privat- gespräche geprüft werden,
wird klar: Hier wird Material
gesammelt, um jemanden „abzuschießen". Wie konnte es dazu kommen? Max K. Hoffmann ist schließlich ein Mann, der das Theater durch schwierigste Zeiten geführt hat, als es
nach dem Brand 1990 in den Ersatzspielstätten am UniPlatz und Jerichower Platz überdauern musste. Unter seiner Ägide wurde
der Neubau errichtet. Hoffmann hat die Strukturdebatte erfolgreich durchgestanden. Er hat künstlerische Erfolge zu
verzeichnen und auch Spektakuläres wie „Aida" auf der Seebühne auf die
Beine gestellt. Im
Spätsommer geht sein Haus auf Japan-Tournee. Die Leistung
wird erst deutlich, wenn man bedenkt, was ein Intendant alles gleichzeitig sein muss: Künstler, Manager, Politiker,
Visionär, Realist, Träumer, Pragmatiker,
Personalchef, Bestimmer und Ausgleicher
- die Mehrfach-Quadratur von Mehrfach-Kreisen. Ohne Konflikte, ohne enorme Kraft und langen Atem geht das nicht. Solche Menschen stehen immer allein, bestehen nur, wenn sie sich letztlich nur
auf sich selbst verlassen. Andernfalls fallen sie beim ersten Windhauch um. Solche
Menschen leben von der
Spannung zwischen Idee und Tat. Hoffmann will
gegen Ende seiner Laufbahn eine letzte große, überaus kühne Idee ins Werk
setzen: Wagners „Ring" im Freien. Und das in Zeiten, wo die Mittel täglich knapper werden und
gespart werden muss, bis es quietscht. Genau dieses indes lag im Kalkül
des Generalintendanten, wie immer man dies
bewerten mag. Die Sparmöglichkeiten in
einem Theater stoßen schnell an Grenzen. Danach geht es an die Substanz. Und das heißt Spartenschließung, Rückstufung einer Philharmonie, weniger Inszenierungen und Premieren etc. Die Folgen sind Ansehensverlust und künstlerische Einbußen auf der ganzen Linie. So kühn wie die Idee des „Ringes im Freien" an sich ist, so kühn die damit verbundene
Herausforderung des Stadtrates nach dem Motto: Das scheinbar Unmögliche wagen,
um das wirklich Höchstmögliche zu erreichen. Ist das Gigantische erst mal angeschoben, bleibt in jedem Falle Großes zurück. Es geht Hoffmann bei dem Gedanken nicht nur um die Krönung seiner Lebensleistung, sondern auch den Kampf für sein Theater und die Kunst. Ehrenwert, mutig, kämpferisch. Dabei gehört Hoffmann nicht zu den „alten" Theaterleuten, die beständig
bis borniert wiederholen: Theater muss sein, Geld
interessiert uns nicht, und wenn wir es nicht per
Zuteilung kriegen, brechen Kunst und Welt
für ewig zusammen. Er suchte für den
„Ring" moderne Finanzierungswege, , steht in Kontakt mit namhaften Sponsoren. Aber das ist
eben nur das eine Ufer
des Flusses. Auf der Gegenseite müssen bei den Stadtoberen alle Alarmglocken
geläutet haben. Ist das Projekt vermessen, kann es
überhaupt funktionieren? Wer
soll das managen? Wer soll das singen, wenn nicht internationale Stars? Fällt dem „Ring" gar der normale Opernspielbetrieb im Großen Haus zum
Opfer? Umbau der Seebühne für
Millionen Euro? Wer bleibt auf
den Kosten sitzen, wenn nicht alles
ideal läuft? Wie soll man das Wählern erklären, den anderen von schmerzhaften Kürzungen
betroffenen Bereichen?
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Zeigt sich nicht schon
jetzt, dass „Aida II" nicht so läuft wie erhofft? Macht sich Magdeburg am
Ende lächerlich? In was reitet der Hoffmann
uns da hinein?
Politiker sind
Sachwalter öffentlicher
Interessen, also auch der
Kunst. Aber in erster Linie sind sie Sachwalter öffentlicher Gelder von
Steuerzahlern. Sie müssen sich auf den Minenfeldern von Interessenkämpfen bewegen.
In Krisenzeiten wächst ihr Risikobewusstsein, weil sonst sie auf der Strecke
bleiben. Die Risiken um den
„Ring" scheinen hoch, sehr hoch
bis zu hoch zu sein. Das heißt für
etliche: Notbremse ziehen, Hoffmann loswerden. Dagegen steht
die Furcht vor öffentlich abträglichen Debatten um Abfindungssumme, Rechtsstreit, schneidenden Berichten in
europäischen Feuilletons über die Theaterkrise Magdeburgs. Politiker haben dies
abzuwägen. Das ist ihre Aufgabe, ihre Pflicht, ihre Verantwortung. So haben beide Seiten ihre jeweilige „Moral", jeweils legitim, aber
jeweils nicht mit der anderen kompatibel..
Darin liegt der Kern des Konflikts. Die
Entscheidung über diesen Konflikt, über die Frage „Wie viel Kultur
wollen wir uns leisten?", „Welche Risiken wollen wir eingehen?"
liegt beim Stadtrat
als gewählter Vertretung der Bürgerschaft. Kommt er zu dem Schluss, das Projekt passt nicht zu den Bedingungen, er will und kann sich auf ein solches
„Wahnsinns-Unternehmen" nicht einlassen, ist das legitim. Dann muss er es sagen. Wahrscheinlich
mischen sich noch
andere Gedanken in die Überlegung, auch
wenn sie nicht offen ausgesprochen werden. Kommen wir mit den bisherigen Sparanstrengungen aus? Was ist,
wenn das Land auf Grund weiterer Steuerausfälle seine Mitfinanzierung der Theater drastisch
zurückfahren muss? Wird eine
neue Strukturdebatte unausweichlich? Aber wer
soll die anstoßen und sich damit Anfeindungen aussetzen? Hoffmann stünde
vielleicht besser da, wenn er den Stadtoberen seinen Sparwillen überzeugender dargestellt hätte als seine Abwehrhaltung. Dass da irgendwann
einem Oberbürgermeister der Kragen platzt,
ist nur zu verständlich. Die Kommunikation zwischen Hoffmann,
Oberbürgermeister und Kulturdezernent war ohnehin nicht die beste.
Hoffmann selbst hat keinen Hehl daraus gemacht, dass
er manche in der Stadtspitze schlichtweg für Banausen hält, seinem
Sternenstürmerwesen nicht ebenbürtig. Immer
nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr. Die menschlich schwierige und teils unappetitliche Atmosphäre im Theater
selbst, vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Orchester, ist in
dem ganzen Zusammenhang letztlich nur ein Nebenkriegsschauplatz. Spannungen zwischen
Intendanz und Orchester
sind keine Magdeburger Spezialität, sondern
eher der Regelfall. Musiker sind gewerkschaftlich
bestens organisiert, vertraglich abgesichert wie kein anderer Künstler am Theater. Schludrige Dienstauffassung, vorgetäuschte Krankmeldungen zum Zwecke bezahlter Auswärtsaushilfen haben schon manchen Intendanten zur Weißglut gebracht, auch Hoffmann.
Verleitet durch seinen Hang zum
Cholerischen ist Hoffmann gewiss
auch wüst und beleidigend mit
manchem Mitarbeiter umgesprungen. Solche demütigenden Anwürfe auch
noch schriftlich abzufassen, ist eine riesige Torheit. Aber das macht seine Widersacher noch nicht von
selbst zu Unschuldslämmern. Viel Licht, viel Schatten. Jetzt, wo die Ablösung
Hoffmanns auch die Frage nach der Zukunft des Theaters aufwirft, sind manche,
die bisher auf ihn freudig mitgeschimpft
hatten, schon recht kleinlaut geworden. Nicht nur um Hoffmanns Existenz,
auch um ihre geht es jetzt. Die Sache hat seit der Ausbreitung der „Ring"-Idee eine ungesteuerte Dynamik''
angenommen. Alles und nichts scheinen möglich zu sein. Kann Hoffmann noch
zurück zu einem Kompromiss? Können Oberbürgermeister und Kulturdezernent noch zurück zu einem Kompromiss? Hätte der Bühnenverein überhaupt eine
Chance als Mittler? Gibt es überhaupt konkrete Vorstellungen für die
Zukunft? Wollen einige doch eine neue Struktur- und Fusionsdebatte und sehen in der Krise Ansätze dazu? Fällt dann das Ballett weg, wie immer als erstes Opfer? Was wird aus dem Schauspiel? Was aus der Philharmonie? Magdeburg neben dem Stadttheater in Irgendwo? Die Lage ist vertrackt und offen, das Meinungsbild im Stadtrat nicht einheitlich. Die entscheidende
Sitzung dürfte am 3. Juli sein. Das Problem
darf nicht in die Sommerpause hineingetragen
werden. Der Stadtrat hat jetzt beschlossen, aus dem Budget zusätzlich zu
den Sparstreichungen noch weitere 318 000 Euro herauszunehmen
und die Theaterleitung in eine schier unlöbare Lage gebracht. Schließlich
sind
Verträge geschlossen, das Geld bereits ausgegeben. Wer so etwas macht, kann nur folgendes im
Sinn haben: Hoffmann soll seine Drohung wahr
machen, das Theater als nicht mehr betriebsfähig
schließen und selbst den Bettel
hinschmeißen. Dann hat er auch den
Schwarzen Peter. Tut er es nicht,
sondern setzt auf den Stadtrat als oberste
Instanz, weiß heute keiner, wie es
ausgeht. Viel ist von vielen in das Theater investiert worden. An Geld, Herz, Kopf,
Passion, Arbeit. Und
ebenso viel steht auf dem Spiel. Infrastruktur, Kultur, Existenzen, Zukunft. Viele tragen Verantwortung. Schlimm
wäre eine anhaltende Debatte. Schlamm und
Intrige gibt es schon genug. Einige haben die Grenzen des rechtlich
Zulässigen überschritten und werden nun
von Angst getrieben.
Am Schlimmsten aber wäre ein
Scherbenhaufen nach dem großen Hauen und Stechen, an dem das stets
zu Diensten stehende
Mittelmaß Klebeversuche unternähme.
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