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Donnerstag, 12 Juni 2003

Streit um Generalintendant Max. K. Hoffmann

Die Zukunft der Theaterlandschaft
Magdeburgs steht auf dem Spiel

Die Veröffentlichung auf www.kukma.net erfolgt mit der freundlichen Genehmigung des Autors und Chefredakteurs der "Volksstimme"

Es brennt in Magdeburg. Oberbürgermeister Lutz Trümper betreibt offen die Abberufung des General intendanten des Theaters der Landeshauptstadt (TdL), Max K. Hoffmann. Dieser hat ein gewaltiges Projekt im Sinn: Wagners „Ring" im Freien, eine Weltneuheit (siehe auch Beitrag auf der Kulturseite, Teil IV). Magdeburg liefert Stoff für die Feuilletons im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Auf dem Spiel steht mehr als die Person Hoffmann und seine „Ring"-Idee. Auf dem Spiel steht die Theaterzukunft Magdeburgs.

Von Franz Kadell


Vor dem Betrachter liegt ein kaum entwirrbares Knäuel. Worum geht es eigentlich in dem Streit? Um die Überziehung des Etats, den der Generalintendant zu verantworten hat? Um das Klima und den persönlichen Umgang im Theater? Um die finanziellen Risiken des „Ring"-Projekts? Um eine neue Strukturdebatte über die Theaterlandschaft Magdeburgs angesichts dramatischer öffentlicher Kassenlage, wobei der Streit nur Mittel zum Zweck ist? Um personelle Machtfragen, um Rache und Ranküne?
Die Wahrheit dürfte sein wie so oft: An jedem Aspekt ist etwas dran. Und je nach Interessenlage wird der eine oder andere Gesichtspunkt stärker gesehen. Das schafft Emotionen und Verbissenheit, auch Schlammschlacht und Intrige.
Der Vorwurf der Etatüberziehung zieht immer in Zeiten strengster Sparzwänge, wo Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen, Brunnenwasserspiele und Straßenbeleuchtung abgeschaltet, Zuschüsse hier und da gestrichen werden. Die Summe von 368 000 Euro scheint zunächst groß, gemessen an den Gesamtzuschüssen von fast elf Millionen Euro nicht so exzessiv (3,48 Prozent). Jeder Fachmann bestätigt, dass eine punktgenaue Einhaltung an einem solchen Haus, gar nicht möglich ist. An manch anderem Theater in Deutschland wird weit mehr überzogen, ohne dass der Intendant zur Disposition stünde. Außerdem lässt sich einiges erklären, z. B. durch höhere Energiekostenbescheide. Deshalb kippt man jedenfalls keinen Generalintendanten zwei Jahre vor Auslaufen seines Vertrages. Das kann es also nicht sein.
Wenn hinzukommt, dass auch die Handy-Rechnungen des Generalintendanten auf mögliche Privat- gespräche geprüft werden, wird klar: Hier wird Material gesammelt, um jemanden  „abzuschießen".
Wie konnte es dazu kommen? Max K. Hoffmann ist schließlich ein Mann, der das Theater durch schwierigste Zeiten geführt hat, als es nach dem Brand 1990 in den Ersatzspielstätten am Uni­Platz und Jerichower Platz überdauern musste. Unter seiner Ägide wurde der Neubau errichtet. Hoffmann hat die Strukturdebatte erfolgreich durchgestanden. Er hat künstlerische Erfolge zu verzeichnen und auch Spektakuläres wie „Aida" auf der Seebühne auf die Beine gestellt. Im Spätsommer geht sein Haus auf Japan-Tournee.
Die Leistung wird erst deutlich, wenn man bedenkt, was ein Intendant alles gleichzeitig sein muss: Künstler, Manager, Politiker, Visionär, Realist, Träumer, Pragmatiker, Personalchef, Bestimmer und Ausgleicher - die Mehrfach-Quadratur von Mehrfach-Kreisen. Ohne Konflikte, ohne enorme Kraft und langen Atem geht das nicht. Solche Menschen stehen immer allein, bestehen nur, wenn sie sich letztlich nur auf sich selbst verlassen. Andernfalls fallen sie beim ersten Windhauch um.
Solche Menschen leben von der Spannung zwischen Idee und Tat. Hoffmann will gegen Ende seiner Laufbahn eine letzte große, überaus kühne Idee ins Werk setzen: Wagners „Ring" im Freien. Und das in Zeiten, wo die Mittel täglich knapper werden und gespart werden muss, bis es quietscht.
Genau dieses indes lag im Kalkül des Generalintendanten, wie immer man dies bewerten mag. Die Sparmöglichkeiten in einem Theater stoßen schnell an Grenzen. Danach geht es an die Substanz. Und das heißt Spartenschließung, Rückstufung einer Philharmonie, weniger Inszenierungen und Premieren etc. Die Folgen sind Ansehensverlust und künstlerische Einbußen auf der ganzen Linie. So kühn wie die Idee des „Ringes im Freien" an sich ist, so kühn die damit verbundene Herausforderung des Stadtrates nach dem Motto: Das scheinbar Unmögliche wagen, um das wirklich Höchst­mögliche zu erreichen. Ist das Gigantische erst mal angeschoben, bleibt in jedem Falle Großes zurück. Es geht Hoffmann bei dem Gedanken nicht nur um die Krönung seiner Lebensleistung, sondern auch den Kampf für sein Theater und die Kunst. Ehrenwert, mutig, kämpferisch.
Dabei gehört Hoffmann nicht zu den „alten" Theaterleuten, die beständig bis borniert wiederholen: Theater muss sein, Geld interessiert uns nicht, und wenn wir es nicht per Zuteilung kriegen, brechen Kunst und Welt für ewig zusammen. Er suchte für den „Ring" moderne Finanzierungswege, , steht in Kontakt mit namhaften Sponsoren.
Aber das ist eben nur das eine Ufer des Flusses. Auf der Gegenseite müssen bei den Stadtoberen alle Alarmglocken geläutet haben. Ist das Projekt vermessen, kann es überhaupt funktionieren? Wer soll das managen? Wer soll das singen, wenn nicht internationale Stars? Fällt dem „Ring" gar der normale Opernspielbetrieb im Großen Haus zum Opfer? Umbau der Seebühne für Millionen Euro? Wer bleibt auf den Kosten sitzen, wenn nicht alles ideal läuft? Wie soll man das Wählern erklären, den anderen von schmerzhaften Kürzungen betroffenen Bereichen?

Zeigt sich nicht schon jetzt, dass „Aida II" nicht so läuft wie erhofft? Macht sich Magdeburg am Ende lächerlich? In was reitet der Hoffmann uns da hinein? Politiker sind Sachwalter öffentlicher Interessen, also auch der Kunst. Aber in erster Linie sind sie Sachwalter öffentlicher Gelder von Steuerzahlern. Sie müssen sich auf den Minenfeldern von Interessenkämpfen bewegen. In Krisenzeiten wächst ihr Risikobewusstsein, weil sonst sie auf der Strecke bleiben. Die Risiken um den „Ring" scheinen hoch, sehr hoch bis zu hoch zu sein. Das heißt für etliche: Notbremse ziehen, Hoffmann loswerden.
Dagegen steht die Furcht vor öffentlich abträglichen Debatten um Abfindungssumme, Rechtsstreit, schneidenden Berichten in europäischen Feuilletons über die Theaterkrise Magdeburgs. Politiker haben dies abzuwägen. Das ist ihre Aufgabe, ihre Pflicht, ihre Verantwortung.
So haben beide Seiten ihre jeweilige „Moral", jeweils legitim, aber jeweils nicht mit der anderen kompatibel.. Darin liegt der Kern des Konflikts.
Die Entscheidung über diesen Konflikt, über die Frage „Wie viel Kultur wollen wir uns leisten?", „Welche Risiken wollen wir eingehen?" liegt beim Stadtrat als gewählter Vertretung der Bürgerschaft.
Kommt er zu dem Schluss, das Projekt passt nicht zu den Bedingungen, er will und kann sich auf ein solches „Wahnsinns-Unternehmen" nicht einlassen, ist das legitim. Dann muss er es sagen.
Wahrscheinlich mischen sich noch andere Gedanken in die Überlegung, auch wenn sie nicht offen ausgesprochen werden. Kommen wir mit den bisherigen Sparanstrengungen aus? Was ist, wenn das Land auf Grund weiterer Steuerausfälle seine Mitfinanzierung der Theater drastisch zurückfahren muss? Wird eine neue Strukturdebatte unausweichlich? Aber wer soll die anstoßen und sich damit Anfeindungen aussetzen?
Hoffmann stünde vielleicht besser da, wenn er den Stadtoberen seinen Sparwillen überzeugender dargestellt hätte als seine Abwehrhaltung. Dass da irgendwann einem Oberbürgermeister der Kragen platzt, ist nur zu verständlich. Die Kommunikation zwischen Hoffmann, Oberbürgermeister und Kulturdezernent war ohnehin nicht die beste. Hoffmann selbst hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er manche in der Stadtspitze schlichtweg für Banausen hält, seinem Sternenstürmerwesen nicht ebenbürtig. Immer nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr.
Die menschlich schwierige und teils unappetitliche Atmosphäre im Theater selbst, vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Orchester, ist in dem ganzen Zusam­menhang letztlich nur ein Nebenkriegsschauplatz. Spannungen zwischen Intendanz und Orchester sind keine Magdeburger Spezialität, sondern eher der Regelfall. Musiker sind gewerkschaftlich bestens organisiert, vertraglich abgesichert wie kein anderer Künstler am Theater. Schludrige Dienstauffassung, vorgetäuschte Krankmeldungen zum Zwecke bezahlter Auswärtsaushilfen haben schon manchen Intendanten zur Weißglut gebracht, auch Hoffmann. Verleitet durch seinen Hang zum Cholerischen ist Hoffmann gewiss auch wüst und beleidigend mit manchem Mitarbeiter umgesprungen. Solche demütigenden Anwürfe auch noch schriftlich abzufassen, ist eine riesige Torheit. Aber das macht seine Widersacher noch nicht von selbst zu Unschuldslämmern. Viel Licht, viel Schatten.
Jetzt, wo die Ablösung Hoffmanns auch die Frage nach der Zukunft des Theaters aufwirft, sind manche, die bisher auf ihn freudig mitgeschimpft hatten, schon recht kleinlaut geworden. Nicht nur um Hoffmanns Existenz, auch um ihre geht es jetzt.
Die Sache hat seit der Ausbreitung der „Ring"-Idee eine ungesteuerte Dynamik'' angenommen. Alles und nichts scheinen möglich zu sein. Kann Hoffmann noch zurück zu einem Kompromiss? Können Oberbürgermeister und Kulturdezernent noch zurück zu einem Kompromiss? Hätte der Bühnenverein überhaupt eine Chance als Mittler? Gibt es überhaupt konkrete Vorstellungen für die Zukunft? Wollen einige doch eine neue Struktur- und Fusionsdebatte und sehen in der Krise Ansätze dazu? Fällt dann das Ballett weg, wie immer als erstes Opfer? Was wird aus dem Schauspiel? Was aus der Philharmonie? Magdeburg neben dem Stadttheater in Irgendwo?
Die Lage ist vertrackt und offen, das Meinungsbild im Stadtrat nicht einheitlich. Die entscheidende Sitzung dürfte am 3. Juli sein. Das Problem darf nicht in die Sommerpause hineingetragen werden.
Der Stadtrat hat jetzt beschlossen, aus dem Budget zusätzlich zu den Sparstreichungen noch weitere 318 000 Euro herauszunehmen und die Theaterleitung in eine schier unlö­bare Lage gebracht. Schließlich sind Verträge geschlossen, das Geld bereits ausgegeben. Wer so etwas macht, kann nur folgendes im Sinn haben: Hoffmann soll seine Drohung wahr machen, das Theater als nicht mehr betriebsfähig schließen und selbst den Bettel hinschmeißen. Dann hat er auch den Schwarzen Peter. Tut er es nicht, sondern setzt auf den Stadtrat als oberste Instanz, weiß heute keiner, wie es ausgeht.
Viel ist von vielen in das Theater investiert worden. An Geld, Herz, Kopf, Passion, Arbeit. Und ebenso viel steht auf dem Spiel. Infrastruktur, Kultur, Existenzen, Zukunft. Viele tragen Verantwortung. Schlimm wäre eine anhaltende Debatte. Schlamm und Intrige gibt es schon genug. Einige haben die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschritten und werden nun von Angst getrieben.

Am Schlimmsten aber wäre ein Scherbenhaufen nach dem großen Hauen und Stechen, an dem das stets zu Diensten stehende Mittelmaß Klebeversuche unternähme.

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