Feuilleton

29.01.2009

Streit um entführte Editha

Forscher finden die Frau von Otto I. – Magdeburger sind sauer

Von Hendrik Lasch

Das Kistchen, das die Archäologen im November bei Grabungen im Magdeburger Dom entdeckten, ist eine Handspanne breit und einen halben Meter lang, schimmert silbrig und hat einen sehr verbeulten Deckel. Die Inschrift, die zum Vorschein kam, nachdem der Staub von fünf Jahrhunderten abgewischt wurde, elektrisierte die Forscher: »Edit Regine cineres hic sarcophages habe«, ist dort zu lesen: »Die geborgenen Überreste der Königin Editha liegen in diesem Sarkophag«. Eine Sensation, sagt Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt: Unverhofft ist man auf das Grab der Gemahlin von König Otto I. gestoßen.

 

Die Freude über den spektakulären Fund, der ausgerechnet im Jahr des 800. Dom-Jubiläums im vermeintlichen Scheingrab der Königin von 1510 zum Vorschein kam, wurde freilich umgehend getrübt. Um den zerbrechlichen Bleikasten genau untersuchen zu können, verfrachteten ihn die Wissenschaftler nach Halle. Dort gibt es moderne Labore und Apparate, mit denen sie herausfanden, dass der Sarg in Stoff gehüllte Gebeine enthält, darunter einen Unterkiefer. Um weitere Gewissheit über die Identität der Toten zu erlangen, sollen DNA-Analysen folgen. Man könne auch nachweisen, ob die Verstorbene »südenglisches Wasser getrunken hat«, so Meller – ein Indiz dafür, ob es sich tatsächlich um die aus Wessex stammende Editha handelt.

 

Was die Wissenschaftler indes in ihrem Eifer nicht berücksichtigten: Nicht nur ihr Fund ist sehr brüchig. Ebenso fragil ist das Selbstbewusstsein der Magdeburger. Die Stadt wurde im Dreißigjährigen Krieg und dann erneut 1945 gründlich zerstört. Zuletzt hatte sie in den 1990er Jahren mit der Abwicklung der Schwerindustrie einen weiteren Schlag hinnehmen müssen. So blicken die Bewohner mit einem gewissen Neid auf andere, vermeintlich reizvollere Städte – nicht zuletzt die nahezu ebenso alte Kulturstadt Halle, der gegenüber man trotz der Rolle als Landeshauptstadt einen tief verwurzelten, rational kaum erklärbaren Minderwertigkeitskomplex hegt.

 

Selbstbewusstsein schöpfte man in Magdeburg erst in den letzten Jahren – und zwar aus der alten Geschichte. In zwei spektakulären Ausstellungen präsentierte sich die Stadt, die 2005 und also ein Jahr vor Halle ihr 1200. Jubiläum feierte, als Wohnort des Reichsgründers Otto, der hier auch begraben ist. Zum König gehört dessen 946 im Alter von 36 Jahren gestorbene Frau, die er »sogar liebte«, wie die Forscher sagen, und deren mildtätiges Engagement für die Armen in rührenden, von der Nonne Roswitha von Gandersheim aufgezeichneten Legenden überliefert ist. Die Königin, sagt Kultusminister Hendrik Olbertz, sei »mit Magdeburg untrennbar verbunden«. Editha, sagt SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper, »ist Magdeburg.«

 

Und nun das: Der unverhofft aufgefundene Sarg – entführt ausgerechnet nach Halle. Zwar nicht bei Nacht und Nebel, wie eine Zeitung schreibt, sondern an einem hellen Samstag. Zwar nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus »fachlich-rationalen Gründen«, wie Meller sagt. Dennoch war Trümper, der vom Sensationsfund erst durch eine Pressemitteilung erfuhr, erbost und sprach von einem Affront, der »jeden Respekt vermissen lasse«.

 

Die SPD im Landtag nennt das Vorgehen eine »kulturelle Instinktlosigkeit«, auch die LINKE polterte, der Sarg gehöre nach Magdeburg. Präsentiert wurde er gestern dennoch in Halle; allerdings wirkten die Beteiligten recht zerknirscht. »Editha kommt aus Magdeburg, Editha geht nach Magdeburg«, sagte Olbertz: »Anders geht es gar nicht.«

 

Wann sie zurückkehrt, ist unklar. Zunächst muss geklärt werden, ob es tatsächlich Editha ist, die in der bleiernen Kiste liegt. Dann ist zu entscheiden, wie Totenruhe und der Wunsch nach angemessener Präsentation vereinbart werden können. Die Hallenser, scheint es, haben dabei einiges wieder gutzumachen.

 

(Zusammenfassung - Neu: Details) Streit um Sarg von Königin Editha - OB Trümper fordert Ausstellung in Magdeburg - Landesmuseum will Fund in Halle vorstellen

--Von Ramona Köhler und Norbert Claus--



Magdeburg (ddp-lsa). In Sachsen-Anhalt ist ein Streit um die Präsentation des Sarges der Königin Editha entbrannt. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) kritisierte den Umgang des Landesamtes Denkmalpflege und Archäologie mit dem Fund. Der Sarg soll am Mittwoch (28. Januar) von Wissenschaftlern in Halle vorgestellt und nähere Details bekanntgegeben werden. «Dieses empfinde ich als einen Vorgang, der jeden Respekt vor der Geschichte Magdeburgs vermissen lässt», sagte Trümper am Montag. Die erste Präsentation der Editha-Grablege müsse besonders im Hinblick auf das 800. Domjubiläum, zwingend in Magdeburg erfolgen. Die Parteien im Landtag sprachen von Instinktlosigkeit. Das Landesamt verteidigte das Vorgehen.

Wie der Sprecher des Landesamtes für Archäologie, Alfred Reichenberger, sagte, wäre der «geborene Ort», so etwas zu präsentieren, der Magdeburger Dom. Es sprächen aber rein fachliche Gründe gegen einen Transport des Sarges wieder zurück nach Magdeburg.

Der Chef des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Matthias Puhle, sprach dagegen von einer Nacht- und Nebelaktion. Die Erstpräsentation hätte in Magdeburg stattfinden müssen, sagte er. Das sei eine Frage der historischen Identität. Editha gehöre wie ihr Gemahl Otto zu Magdeburg. Der Streit tue dem Land nicht gut.

Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) bezeichnete es als «unglücklich», dass die Stadtvertreter in Magdeburg erst nach dem Abtransport des Editha-Sarges von dem Fund im Dom erfahren haben habe. Der Sarg müsse auf jeden Fall nach Magdeburg zurückkommen und dort in würdiger Form wieder bestattet und präsentiert werden. Gleichwohl werde er an der Präsentation des Fundes im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle teilnehmen.

SPD-Landtagschefin Katrin Budde sagte: «Es ist taktlos, einen so bedeutenden Fund still und leise an einen anderen Ort zu verfrachten und ihn dort als Sensation der Öffentlichkeit zu präsentieren.» Sie bezeichnete es als einen unglaublichen Vorgang, dass der Oberbürgermeister nicht offiziell über den Fund informiert worden sei.

Die Linksfraktion erklärte, eine Präsentation unter Umgehung Magdeburgs sei nur als ausgesprochen unsensibel und der historischen Beziehungen der Stadt zu Kaiser Otto dem Großen und seiner Frau Editha unangemessen zu bezeichnen. Die Linke forderte den Kultusminister auf, die Präsentation des Editha-Sarges in Halle zu stoppen und dafür zeitnah in Magdeburg vorzusehen.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion, Lydia Hüskens, sagte: «Das Landesamt und der Oberbürgermeister sollten aufeinander zugehen. Eine gemeinsame Vorstellung des Sarges wäre nach wie vor wünschenswert». Man müsse keine Angst davor haben, dass der Sarg den Magdeburgern böswillig vorenthalten werden solle.

Archäologen hatten bei Untersuchungen im Magdeburger Dom einen Bleisarg entdeckt. Laut Inschrift liegen darin die umgebetteten sterblichen Überreste der Königin Editha (910-946). Die Gebeine und der weitere Inhalt werden derzeit untersucht. Editha war die erste Gemahlin König Ottos I. des Großen. 929 gab Otto seiner Gemahlin Editha Magdeburg als Morgengabe. Sie starb im Jahre 946 und wurde zunächst im Mauritiuskloster in Magdeburg beigesetzt. Das bisher für ein Scheingrab gehaltene Grabmal, in dem der Bleisarg gefunden wurde, stammt erst aus dem Jahre 1510.

(Quellen: Trümper in Erklärung, Reichenberger auf ddp-Anfrage, Puhle und Olbertz im MDR1 Radio Sachsen-Anhalt. SPD, Linke und FDP in Pressemitteilungen)

ddp/koe/ncl/muc